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Die Preußischen Reformen.

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In freier Athmosphäre mit offenem Geist.

Die Ideen und Werke des Königsberger Philosophen Immanuel Kant nutzte zur Jahrhundertwende (18./19. Jahrhundert) eine ganze Generation junger, gebildeter Menschen, sich alternativen Lebensentwürfe zu verschreiben [A].

Wilhelm von Humboldt, ein Freund Schillers und Goethes, bis dahin preußischer Ministerresident (Bot­schafter) in Rom, zeigte sich 1809, nach Königsberg zurückbeordert, von der dort herr­schen­den, freien Atmosphäre und dem offenen Geist überrascht [ 1]:

»Die Art, wie man hier ist, ist mir sehr neu und überraschend gewesen. Unleugbar hat sich alles sehr verändert, und ich wage es zu sagen, zum Besseren. …es ist doch gewiß durch alle Stände mehr Hinneigen und Hängen zu und an Ideen, es ist daher auch für alles, was auf Ideen beruht (und es ist wieder sehr Stimmung, alles daran zu knüpfen), also für Wissenschaft und Kunst mehr zu erwarten.«

Der von Immanuel Kant ins Licht der gelehrten Öffentlichkeit katapultierte Johann Gottlieb Fichte verlor auf Betreiben Kur-Sachsens im April 1799 seine Professur in Jena. Und wie schon 100 Jahre zuvor Christian Thomasius bot Preußen auch Fichte Heimstatt und Wirkungsstätte, wenn auch erst nach Intervention von höchster Stelle, des Königs von Preußen [ 2]. Fichtes Wissen­schafts­lehre beeindruckte - unter anderem auch Süvern [ 3], dem wenig später die Reform des gym­nasialen Unterrichtes oblag.

Im Contrat Sozial (Gesellschaftsvertrag) hatte Jean-Jacques Rousseau wenige Jahre zuvor geschrieben: »Sobald demnach der unbegünstigtere Bürger anfängt zu merken, daß er durch den Vertrag mit dem begünstigten bevorteilt sei, so hat er das völlige Recht, den nachteiligen Vertrag aufzulösen [ 4]«.

Eine Regierung die das Vertrauen der Bevölkerungsmehrheit verloren hat, wird auf die eine oder andere Weise verschwinden. Fichte entwickelte eine Vorstellung, welches Verhältnis (welchen Contrat Social) Regenten und Bevölkerung bei sich stetig ändernden Bedingungen vernünftiger­weise miteinander einzugehen haben [ 5].

Die 1807 einsetzenden preußischen Reformen verankerten die Grundrechte der Menschen in einer Weise, die sie die Zeit der Restauration überstehen ließen und im Fortlauf der Geschichte zum Ausgangspunkt weiterer Reformen (z.B. das Genossenschaftsgesetz Preußen 1867, der in gleicher, geheimer und freier Wahl bestimmte deutsche Reichstag 1871 und die Sozialgesetzgebungen ab 1888) werden ließen.

Durch die Bildung eines preußischen Beamtenadels existierte in Preußen eine starke, gebildete Bevölkerungsgruppe, die den Einfluß des sich aus der Feudalwirtschaft entwickelnden Landadels zurückdrängte. Mit der Niederlage bei Jena und Auerstedt setzte König Friedrich Wilhelm III. im Krieg und Frieden auf die Reformer. und weitere wurden in die ihnen entsprechenden Positionen berufen. Bereits 1807 hatte der König Karl August von Hardenberg mit der Leitung des Zivilkabinettes betraut [ 6].

Friedrich Wilhelm III.

Die Reform des Heeres, durch Scharnhorst, Gneisenau und Blücher, mußte aus vielen Gründen mit der Reform des gesamten Staates einhergehen. Die Befreiung von der napoleonischen Herrschaft bot unter der Perspektive damit die Voraussetzungen zur Befreiung des Menschen „aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ (wie das Kant formuliert hatte) zu schaffen, den Menschen in ganz Deutschland einen Anreiz an diesem Befreiungskrieg teilzunehmen.

Hardenberg in seiner von König Friedrich Wilhelm III. veranlaßten Rigaer Denkschrift »Ueber die Reorganisation des preußischen Staates« vom 12. September 1807: »Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung, dieses scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeitgeist. Die reine Demokratie müssen wir noch dem Jahre 2240 überlassen, wenn sie anders je für die Menschen gemacht ist. Mit derselben Kraft und Konsequenz, womit Napoleon das französische revolutionäre System verfolgt, müssen wir das unserige für alles Gute, Schöne, Moralische verfolgen, für dieses Alles, was gut und edel ist, zu gewinnen trachten. Ein solcher Bund, ähnlich dem der Jakobiner, nur nicht im Zwecke und in der Anwendung verbrecherischer Mittel, und Preußen an der Spitze, könnte die größte Wirkung hervorbringen, und wäre für dieses die mächtigste Allianz[ 7]

Eine zentrale Bedeutung kam daher der Bildungsreform zu. Hier berief König Friedrich Wilhelm III. Wilhelm von Humboldt. Gemeinsam mit anderen hochkarätigen Wissenschaftlern schuf Humboldt innerhalb eines Jahres ein Bildungssystem, das die Bildung des Menschen zu einem freien Charakter gewährleistete. Dies Ideal wurde, offen oder versteckt, bis in die frühen Jahre der Bundesrepublik Deutschland, verfolgt. Heute werden Schüler und Studenten auf eine Eigenschaft reduziert, Wissen anzueignen und wiederzugeben.

Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein.

Daß beides, Monarchie und freie Entfaltung des Menschen, wie auch der Gesellschaft kein Widerspruch ist, ergibt sich aus den die Gemeinden betreffenden Reformen des Freiherr vom und zum Stein. Stein übertrug den Gemeinden die nötigen Rechte und Pflichten, ihre eigenen Belange zu regeln, ohne übergeordnete Institutionen einbeziehen zu müssen.

Stein entstammte einer Familie von Reichsrittern, d.h. unmittelbar dem Kaiser unterstellten Rittern. Er verabscheute die Zersplitterung Deutschlands, das aus über hundert Einzelstaaten bestand und verspottete die Kleinfürsten als „Zaunkönige“. Steins Reformen und Vorschläge dienten so denn dem einen Ziel, der Herausbildung der deutschen Nation und in Preußen sah den den Staat, über den er dies Ziel am ehesten verwirklichen konnte [ 8][B].

Der Staat hat zwei Aufgaben, die Landesverteidigung, die Aufrechterhaltung eines Rechtes, das vor allem den Schutz des einen, vor den Übergriffen eines anderen Menschen sicher zu stellen und einem jeden Menschen die ihm entsprechenden Entfaltungsmöglichkeiten zu garantieren hätte.

Alles andere ist der Nation vorbehalten, d.h. der aus einem freien Austausch der Menschen untereinander hervorgehenden Gesellschaft, wobei das gemeinschaftliche Handeln der Menschen die Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit zur Ausprägung eines, dem Gemeinwohl verpflichteten Charakters befördere [ 9].

Stein leitete vom Sept. 1807 bis Ende Nov. 1808 die preußische Zivilverwaltung. Fünf Tage nach Amtsantritt unterzeichnete er das von Theodor von Schön ausgearbeitete Oktoberedikt. Mit dem Oktoberedit wurde Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit abgeschafft und die freie Berufswahl eingeführt. Alle Einschränkung im Hinblick auf den Kauf und Verkauf adliger Güter wurden beseitigt [10].

Die Umsetzung des Ediktes erfolgte schrittweise ab Febr. 1808.

Von Anbeginn stieß die Agrarreform beim Landadel auf Ablehnung. Die Veröffentlichung des Ediktes wurde durch die Provinzen verzögert.

In der Kurmark regte der Adel die Einberufung einer Ständeversammlung (für den März 1809) an, um Einfluß auf die Umsetzung der Agrarreformen zu gewinnen.

Der preußische Staats- und Innenminister von Dohna drängte denn endlich am 16.09.1810 den zuständigen Oberpräsidenten Sack dazu, das Edikt in der Kurmark, in der Neumark und in Pommern zu publizieren [11].

Karl August von Hardenberg.

Hardenberg schwebte die Schaffung einer Gesellschaft von gleichberechtigten Bürgern vor, d.h. vor allem die Aufhebung der Ständeordnung (sprich Gewerbefreiheit) und die Abschaffung der Leibeigenschaft (tatsächlich gab es eine Unzahl von Abhängigkeitsverhältnissen in denen Bauer/Landarbeiter/Gesinde zum Feudalherren stand). Zur schnellen wirtschaftlichen Entwicklung bedurfte es eines freien Arbeitsmarktes, d.h. der Abschaffung der Leibeigenschaft bzw. der Erbuntertänigkeit, der Abschaffung der Zünfte und der Einführung der Gewerbefreiheit. Die Bauernbefreiung schuf diesen Arbeitsmarkt, sie lieferte der Industrie die überschüssigen Arbeitskräfte und erhöhte die Produktivität auch der Landgüter. Die tatsächlich genutzte, landwirtschaftliche Fläche wuchs bis 1814 um 60%, die Erträge um 40% [12].

Erst nach Schaffung einer Gesellschaft freier Bürger, sollte schrittweise ein System politischer Mitbestimmung geschaffen werden. In diesem Punkt trafen sich Hardenbergs und Humboldts Vorstellungen [13].

Ein freier Bauer war zudem motivierter sein eigenes Hab und Gut, oder auch nur seine Rechte, wie etwa die Preußen jüdischen Glaubens, im Krieg zu verteidigen. Letztlich wurde die Macht des Staates, des Königs durch die Reformen gestärkt und die Basis für eine schnelle wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung gelegt [14][15].

Die, durch das Oktoberedikt genährten, Hoffnungen der Bauernschaft wie die verzögerte Umsetzung führten in Schlesien aber auch in der Kurmark dazu, die Frondienste zu verweigern [16] . Hardenberg sah sich veranlaßt die Husaren aufzubieten.

Für Österreich wie für die Freunde Österreichs am preußischen Hof waren die Dienstverweigerungen ein willkommener Anlaß die preußischen Reformer mit den Jakobiener gleich zu setzten.

Friedrich Wilhelm III. scherte sich 1810 nicht um diese Verleumder, die nicht einmal davor davor zurückschreckten, aus politischem Kalkül, die Königin selbst unter Verdacht zu stellen [17] .

Am 19. Juli 1810 stirbt Königin Louise.

Kurz zuvor antwortete sie dem König auf dessen Frage nach ihren Wünschen:

Dein Glück
die gute Erziehung unserer Kinder
und halte Hardenberg!

Hardenberg nach seiner Berufung zum Staatskanzler am 4. Juni 1810 den Regierungsrat von Potsdam Friedrich von Raumer in die Komission, die die Regulierung der gutsherrlichen-bäuerlichen Verhältnisse festlegen sollte.

Im Juni 1811 ließ König Friedrich Wilhelm III. Seine Regierung wissen:

»Ich weiß, daß der Herr von Hardenberg gerade jetzt ganz außerordentlich beschäftigt ist, und ich will auch dehalb nicht mit einer Ordre drängen, wenn aber die Grundsätze [der Regulierung] gar bald aufgestellt werden könnten, so wäre es mir sehr lieb, damit die Bauern sich beruhigten und wüßten, woran sie wären [18]

Das von Friedrich von Raumer erarbeitete und am 14.11.1811 erlassene »Edikt die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend« bewahrte trotz heftiger Kritik des Landadels den Kern des Oktoberediktes. Die Gleichsetzung von Lassiten und Zeitpächtern wurde aufgegeben, von der vollständige Aufrechnung der gegenseitigen Verpflichtungen Dienst hier, Land da wurde abgegangen und an 10 Tagen im Jahr konnten die Gutsherren die Dienste der soweit freien Bauern in Anspruch nehmen [19].

Die Stein-Hardenberg’schen Reformen im Überblick.

Die Staatsreform.

1808/10 Einrichtung einer Kabinettsregierung mit den fünf klassischen Ministerien für Inneres, Finanzen, Auswärtiges, Krieg und Justiz. Den Vorsitz im Ministerrat übt der Staatskanzler aus.

Die städtische Selbstverwaltung [E].

Am 19. November 1808 wurde durch den Freiherrn vom und zum Stein das Prinzip der Selbstverwaltung bei voller Finanzgewalt auf kommunaler Ebene eingeführt. Die Stadtverordnetenversammlung ist für Gemeinderecht und -verwaltung zuständig. Ausführendes Organ bildet der von ihr gewählte Magistrat. Die Mitwirkung an der Selbstverwaltung wurde jedoch von Besitz und Bildung abhängig gemacht - nicht aber vom Glauben. Soweit waren jüdische Bürger nicht-jüdischen gleichgestellt. Der auf Betreiben Napoleons eingesetzte Stein, wurde am 24.11.1808 auf Betreiben Napoleons abgesetzt [20] [21].

Die Verfassung.

In seiner »Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volks« vom 22. Mai 1815 veranlaßt Friedrich Wilhelm III. die Heranziehung der Provinzialstände zur Bildung einer Versammlung der Landes- Repräsentanten, deren Aufgaben sich auf die Beratung aller Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigentumsrechte der Staatsbürger, mit Einschluß der Besteuerung, betreffen, erstrecken sollte. Eine, für den 1. Sept. 1815 einzuberufene, Kommission sollte im Rahmen dieser Vorgaben einen Verfassungsentwurf erarbeiten. Was jedoch nicht geschah [22].
 
Mehr dazu unter Gedanken zur preußischen Verfassung.

Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit, und Einführung der Gewerbefreiheit.

Das Oktoberedikt.
Mit dem Oktoberedikt vom 9.10.1807 des Freiherrn vom und zum Stein, wird jedem preußischen Bürger der Erwerb von Grundbesitz erlaubt. Die Erbuntertänigkeit (eine Form der Leibeigenschaft) wird abgeschafft. Sie beinhaltete bis dahin Abgabepflichten, eine lebenslange uneingeschränkte Dienstpflicht, Gesindezwang der Kinder und die Schollenpflichtigkeit. Zum Heiraten mußte der Erbuntertänige die Erlaubnis des Gutsherren erbitten. Die Bauernstelle konnte nur ein, vom Gutsherrn ausgewählter, Sohn des erbuntertänigen Bauern erben [23][24].
Die Bauern, deren Höfe nicht in Erbpacht betrieben wurden, erhielten am 11. November 1810 ihre Unabhängigkeit.

 
Die Gewerbefreiheit.
1810 erfolgt die Aufhebund der Zunftordnung. Damit erhält jeder Staatsbürger das Recht auf freie Berufswahl. In Preußen herrscht Gewerbefreiheit.

 
Grundentlastung.
Am 14.11.1811 wird das »Edikt die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend« erlassen. In ihm wurde die Auflösung der gegenseitigen Verpflichtungen des Bauern gegenüber dem Gutsherren, wie auch die des Gutsherren gegenüber dem Bauern geregelt. Der Bauer, bislang ohne Eigentumsrecht an dem von ihm bewirtschafteten Bauernhof, konnte, die, für die Inbesitznahme des Grundes, dem Gutsherrn zu leistende Entschädigung, durch das Abtretung eines Teils des Grundbesitzes, finanziell oder durch Kombination beider Formen aufbringen.

 
Die in Erbpacht vergebenen Höfe hatten 1/3, die nicht in Erbpacht vergebenen 1/2 ihrer Flächen als Entschädigung abzugeben. Der Ausgleich entband den Gutsherrn von seinen Verpflichtungen z.B. Zahlung von Steuern oder Erhaltung der Gebäude [25].

Verbleib der vom Regierungsedikt 1811 betroffenen landwirtschaftlichen Flächen.

Die Einführung einer Selbstverwaltung für Landgemeinden, die Aufhebung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt scheiterten wie auch die allgemeine Einkommens- und Grundsteuer am Widerstand des Adels [26].

Das Säkularisierungs-Edikt.

Am 30. Oktober 1810 wird das »Edikt über die Einziehung sämmtlicher geistlicher Güter in der Monarchie« erlassen. Alle Klöster, Dom- und andere Stifter, Balleyen und Commenden werden, bei Entschädigung der bisherigen Benutzer und Berechtigten, in Staatsgüter verwandelt.
 
Die Mittel zur Aufrechterhaltung der, von diesen Einrichtungen geleisteten, sozialen Dienste, werden vom preußischen Staat übernommen.

Die Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung

Wilhelm von Humboldt am 17. Juli 1809: »Auch soll der Staat nicht gerade die Juden zu achten lehren, aber die inhumane und vorurteilsvolle Denkungsart soll er aufheben, die einen Menschen nicht nach seinen eigentümlichen Eigenschaften, sondern nach seiner Abstammung und Religion beurteilt und ihn, gegen allen Begriff von Menschenwürde, nicht wie ein Individium, sondern wie zu einer Masse gehörig und gewisse Eigenschaften gleichsam notwendig mit ihr teilend ansieht [27]

Die jüdische Bevölkerung erhält die preußische Staatsbürgerschaft und damit das Recht der freien Berufswahl sowie die Pflicht den Wehrdienst abzuleisten. Das Recht auf freie Berufswahl für die jüdischen Staatsbürger wurde in den folgenden Jahren eingeschränkt auf Anstellungen, denen keine leitende Funktion, etwa im Heer und den Bildungsinstituten [28] zukam. Wie so oft in Preußen, bestätigten auch hier die Ausnahmen die Regel.

Die Bildungsreform.

Wilhelm v. Humboldt versuchte als Leiter der Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht eine Bildungspolitik im Sinne der Aufklärung zu betreiben.
Das Bildungswesens wird verstaatlicht, die allgemeinen Schulpflicht, Abitur und Staatsexamen werden eingeführt und das Unterrichtswesen umgestaltet. Neuhumanistische Gymnasien (gelehrte Schulen) werden eingerichtet. Das dreigliedrige Schulsystem geschaffen und an den Universitäten herrschte das Leitbild freier Bildung und Forschung [29] . Professoren und Studenten begegnen sich auf einer Augenhöhe.

Der Weg zur Universität führte nun über eine 3 jährige Elementarschule dem sich ein 10 jähriges Gymnasium anschloß. Da in der Vergangenheit weniger die geistige Reife der Schüler sondern die Herkunft den Zugang zur Universität ebnete, wurde am 12. Okt. 1812 ein Edict zur Prüfung der zu den Universitäten übergehenden Schülern erlassen. Die für alle Gymnasien verbindliche Regelung sah eine Prüfungskommission aus Direktor, Oberlehrern, Mitgliedern des Schulkurratoriums usw. vor. Die Leitung der Kommission hatte ein Bevollmächtigter der Landesbehörde [30] .
Aus den Prüfungsinhalten ergibt sich der Lehrplan eines neuhumanistischen Gymnasiums [31] . Die Lehrer rekrutieren sich nicht länger aus Theologen, die an den Schulen geparkt, auf eine freiwerdende Pfarrstelle hofften. Mit dem Erlaß des Prüfungsediktes vom 12. Juli 1810 müssen Gymnasiallehrer eine staatliche Prüfung ablegen [32] .

Wichtig waren Humboldt NICHT die praktisch verwertbaren Qualifikationen! Damit unterscheidet er sich grundsätzlich von den retardierten Exemplaren seiner Zunft in der Politik und der Schule heutzutage. Durch eine breite Allgemeinbildung sollten der Schüler die Studierfähigkeit erreichen und als moralisch, geistig gereifter Mensch die Schule verlassen können [C]. Der Lehrplan wurde entrümpelt.
»Gegenstände der Prüfung: Die deutsche, lateinische, griechische und französische Sprache; Religionslehre, Geschichte verbunden mit Geographie, Mathematik.«  In Posen wurde zudem die polnische Sprache abgeprüft und in ganz Preußen ab 1825, auf Hegels Wunsch hin, die philosophische Propädeutik [33].

Die Beibehaltung des Unterrichts der alten Sprachen (Latein und Alt-Griechisch) hatte, neben den praktischen Gründen (lateinische, altgriechische Publikationen z.B. in den Bereichen Recht, Medizin, Philosophie) auch das Ziel die Bildung eines sich beim Studium der alten Kulturen notwendigerweise herausbildenden Abstraktionsvermögens zu betreiben; das konkrete Leben im alten Griechenland oder Rom mußte in eine allgemeine Form gebracht bzw. abstrahiert werden, um es mit dem gegenwärtigen vergleichen zu können. Es ging für die Schüler auch um das Erlernen des Lernens [D].

Revolutionär war Schleiermachers Idee die deutsche Sprache unterrichten zu lassen. Das geschah vor allem, um die, gerade in den letzten Jahrzehnten gewonnenen, wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Sprache entsprechend differenziert beschreiben zu können, die auch im Lande gesprochen wird. Die Wissenschaft sollte jedem zugänglich sein. Die Schüler wurden gleichsam zu Boten Athenes, der griechischen Göttin für Kunst und Wissenschaft, das Wissen in die ganze Gesellschaft hineinzutragen, um so einen Beitrag zur Hebung des Bildungsniveaus in Preußen zu leisten [34].

1810 wurde die Berliner Friedrich Wilhelm Universität, die späteren Humboldt Universität [35] gegründet. Wilhelm von Humboldt vereinte Universität, Akademie und andere Forschungeseinrichtungen (Sternwarte, botanischer Garten). Ihm gelang es die bedeutendsten Köpfe Deutschlands (Friedrich August Wolf, Fichte, Schleiermacher, Schlegel, Savigny, Niebuhr, Leopold Ranke…) für diese Universität zu gewinnen. Die Freiheit der Wissenschaft sollte garantiert werden, durch die Überlassung einer staatlichen Domäne. Der Staat beruft die Professoren, um eine Klüngelbildung zu verhindern, womit sein Einfluß auch schon enden sollte.

Humboldt über bildungspolitische Vorgaben des Staates [36] :

»Wer aber für andere so räsoniert [wie der Staat], den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, dass er die Menschheit mißkennt und aus Menschen Maschinen machen will.«

Wilhelm v. Humboldts Vorschläge zur Berliner Universität wurden mit Kabinettsorder des Königs vom 22. September 1809 genehmigt. Einzig die Übertragung einer staatlichen Domäne wurde von der Regierung und dem König nicht gebilligt [37] .

Erwähnt werden muß noch der Maurermeister Carl Friedrich Zelter. Woran keiner der Geistesschaffenden gedacht hatte, Zelter erkannte, daß die Musik ein Zweig der Berliner Akademie zu sein hat. Zelter überzeugte Humboldt und König Friedrich Wilhelm III. ernannte den Maurermeister in seiner Kabinettsorder vom 17. Mai 1809 zum Professor der Musik an der Akademie der Künste [38] .

Die Militärreform.

Am 25.7.1807 beruft Friedrich Wilhelm III. Generalmajor Gerhard von Scharnhorst zum Leiter der Militär-Reorganisationskommission. 1813 bis 1814 erfolgt die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Jeder Staatsbürger muß mit Vollendung des 20. Lebensjahres die Wehrpflicht ableisten. Ausnahmen (Exemtionen) oder Stellvertretungen waren nicht erlaubt [39].

Anhang:

[A] Nach Peter Andreas Popp »steht [die Reform] unter dem prägenden Einfluss der Philosophie. Sie ist eine idealistisch-moralische Bewegung. Das ist mehr als Rhetorik, Ton oder Überbau („das philosophische Element ist eben nicht draufgesetzt“). Philosophie prägt die konkreten Ziele des Reformwerks, gibt ihm seinen Rang [40]

[B] Der Freiherr vom Stein über die allgemeinen Grundsätze des Planes einer provinzialständischen Verfasssung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm:

»Nach den „besonderen Grundsätzen“ sollen die Stände aus Ritterschaft, Bürgerstand und Bauernstand zusammengesetzt werden und ihnen in einzelnen Fällen Standesherren noch beigeordnet werden. Die Ritterschaft soll aus allen großen Grundbesitzern ohne Unterschied des Standes bestehen. […] Die ritterschaftliche Genossenschaft muß nicht ferner ein durch den Stammbaum spröd abgeschlossener Verein sein, er muß durch Aufnahme neuer Mitglieder an Vermögen, Geist und Leben erfrischt werden können…
[…]
Die Städte erklären die „allgemeinen Grundsätze“ für den anderen Bestandteil des Landtages, die Abgeordneten aus ihrer Mitte sollen das Interesse der Gewerbe und des Handels vertreten.
[…]
Die Zulassung des Bauernstandes zu den Landtagen ist von ältesten Zeiten herkömmlich in den Provinzen Deutschlands, wo der Bauer freier Eigentümer war,… so wird ihm mit Recht die Standschaft zugestanden und ihm ihre unmittelbare Ausübung gegen das Eindringen der Gelehrten oder Advokaten oder Beamten geschützt.
Ich vermisse unter den Elementen der Zusammensetzung der Landstände die Kirche.
[…]
Die katholische Kirche kann teilnehmen durch das Stimmrecht des Bischofs, die protestantische durch einen auf der Synode gewählten Abgeordneten.
[…]
Die allgemeinen Schlußbemerkungen sind höchst weise, sie sichern durch Bildung der Majorate für den Adel, durch Erhaltung der Bauernhöfe in angemessener Höhe, durch Zurückführung der Gewerbefreiheit in gesetzmäßige Grenzen den Adel gegen seine Auflösung und einen würdigen, achtbaren Bürger- und Bauernstand gegen das Herabsinken zu einem mit Kummer und Nahrungssorgen kämpfenden Pöbel, den eine durch Mangel und Bedürfnis auf das höchste aufgereizte Gewinnsucht zur Gleichgültigkeit gegen das Edle und Sittliche und zum Laster und Verbrechen verführt [41]

[C] Wilhelm von Humboldt:

»Im Mittelpunkt aller besonderer Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der […] nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will. Da jedoch die blosse Kraft einen Gegenstand braucht, an dem sie sich üben, und die blosse Form, der reine Gedanke, einen Stoff, in dem sie, sich darin ausprägend, fortdauern könne, so bedarf auch der Mensch einer Welt außer sich. Daher entspringt sein Streben, den Kreis seiner Erkenntniss und seine Wirksamkeit zu erweitern […] Die letzte Aufgabe unseres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unserer Person […] einen so großen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung [42]

 
[D] Wilhelm von Humboldt:

»Der Zweck des Schulunterrichts ist die Übung der Fähigkeiten und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet, der junge Mensch in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigene Schaffen immer anschließen muß, teils schon jetzt wirklich zu sammeln, teils künftig nach Gefallen sammeln zu können und die intellektuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt [43]

[E] Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie vom 18. 11.1808 [44]:

»Wir Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen ec. ec. ec. Thun kund und fügen hiemit zu wissen: Der besonders in neuern Zeiten sichtbar gewordene Mangel an angemessenen Bestim­mungen in Absicht des städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der Stadtgemeine, das jetzt nach Klassen und Zünften sich teilende Interesse der Bürger und das dringend sich äußernde Bedürfnis einer wirksamern Theilnahme der Bürgerschaft an der Ver­waltung des Gemeinwesens, überzeugen Uns von der Nothwendigkeit, den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Theilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten. Zur Erreichung dieser landesväterlichen Absicht, verleihen Wir, kraft dieses, aus Königlicher Macht und Vollkommenheit, sämtlichen Städten Unserer Monarchie, nachstehende Ordnung, indem Wir mit Aufhebung der derselben zuwiderlaufenden, jetzt über die Gegenstände ihres Inhalts bestehenden Gesetze und Vorschriften, namentlich der auf solche Bezug habenden Stellen des Allgemeinen Landrechts Folgendes verordnen.
 
Tit. I. Von der obersten Aufsicht des Staats über die Städte.
 
§ 1. Dem Staat und den von solchem angeordneten Behörden, bleibt das oberste Aufsichtsrecht über die Städte, ihre Verfassung und ihr Vermögen, insoweit nicht in der gegenwärtigen Ordnung auf eine Theilnahme an der Verwaltung ausdrücklich Verzicht geleistet ist, vorbehalten. [ . . . ]
 
§ 2. Diese oberste Aufsicht übt der Staat dadurch aus, daß er die gedruckten Rechnungsextrakte oder die öffentlich darzulegenden Rechnungen der Städte über die Verwaltung ihres Gemeinvermögens einsieht, die Beschwerden einzelner Bürger oder ganzer Abtheilungen über das Gemeinwesen entscheidet, neue Statuten bestätigt und zu den Wahlen der Magistratsmitglieder die Genehmigung ertheilt.
 
Tit. II. Von den Städten im Allgemeinen.
 
§ 3. Das Stadtrecht, so wie überhaupt der Umfang der Städte erstreckt sich auch auf die Vorstädte.
 
§ 4. Zum städtischen Polizei- und Gemeinebezirk gehören daher alle Einwohner und sämmtliche Grundstücke der Stadt und der Vorstädte.
 
§ 5. Die Einwohner jeder Stadt bestehen nur aus zwei Klassen, aus Bürgern oder aus Schutzverwandten oder aus Einwohnern, die das Bürgerrecht gewonnen und solchen, die dasselbe nicht erlangt haben. Einwohner sind alle diejenigen, welche im Gemeinebezirk ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.
 
§ 6. Beide, sowohl Bürger als Schutzverwandte, werden in allen Angelegenheiten, die auf das allgemeine Interesse der Stadt Bezug haben, nach dieser Ordnung und den Verfassungen der Stadt beurtheilt.
 
§ 7. Der Unterschied, welcher bisher zwischen mittelbaren und unmittelbaren Städten statt fand, soll in allen Beziehungen auf städtische Angelegenheiten künftig aufhören.
 
§ 8. Den Gutsherren wird nicht gestattet, über mittelbare Städte, dieser Ordnung zuwiderlaufende Rechte und Befugnisse auszuüben.
 
§ 9. Sämmtliche Städte sollen nach der Zahl ihrer Einwohner, in der Zukunft in große, mittlere und kleine eingetheilt werden.
 
§ 10. Es werden unter den großen Städten diejenigen, welche mit Ausschluß des Militairs, Zehntausend Seelen und drüber haben, – unter mittlern Städten diejenigen, welche ohne Militair, Dreitausend Fünfhundert, allein noch nicht Zehntausend Seelen enthalten, – und unter kleinen Städten diejenigen verstanden, welche, das Militair ungerechnet, noch nicht Dreitausend Fünfhundert Seelen zählen. [ . . . ]
 
Tit. III. Von den Bürgern und dem Bürgerrechte.
 
§ 14. Ein Bürger oder Mitglied einer Stadtgemeine ist der, welcher in einer Stadt das Bürgerrecht besitzt. § 15. Das Bürgerrecht besteht in der Befugniß, städtische Gewerbe zu treiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk der Stadt zu besitzen. Wenn der Bürger stimmfähig ist, erhält er zugleich das Recht, an der Wahl der Stadtverordneten Theil zu nehmen, zu öffentlichen Stadtämtern wahlfähig zu seyn, und in deren Besitze die damit verbundene Theilnahme an der öffentlichen Verwaltung, nebst Ehrenrechten zu genießen. [ . . . ]
 
§ 16. In jeder Stadt gibt es künftig nur ein Bürgerrecht. Der Unterschied zwischen Groß- und Kleinbürgern und jede ähnliche Abteilung der Bürger in mehrere Ordnungen wird daher hierdurch völlig aufgehoben.
 
§ 17. Das Bürgerrecht darf niemandem versagt werden, welcher in der Stadt, worin er solches zu erlangen wünscht, sich häuslich niedergelassen hat und von unbescholtenem Wandel ist. Wenn er bisher an einem andern Orte gewohnt hat, muß er seine Aufführung, und wie er sich bis dahin ehrlich genährt hat, durch Zeugnisse der dasigen Ortsbehörde nachweisen.
 
§ 18. Auch unverheiratete Personen weiblichen Geschlechts können, wenn sie diese Eigenschaften besitzen, zum Bürgerrechte gelangen.
 
§ 19. Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse machen bei Gewinn­ung des Bürgerrechts keinen Unterschied. Auch hergebrachte Vorzüge der Bürgerkinder und besondere Arten von Verpflichtungen der Unverheirateten etc. hören völlig auf, Kantonnisten, Soldaten, Minderjährigen und Juden kann das Bürgerrecht aber nur unter den vorschriftmäßigen Bedingungen zugestanden werden. Dieselben, imgleichen die Menonisten, sind auch nach Erlangung desselben in Absicht des Erwerbes von Grundstücken und des Betriebes von Gewerben den Einschränkungen noch unterworfen, welche durch Landesgesetze und Ortsverfassungen bestimmt sind.
 
§ 25. Jeder, der Bürger werden will, ist verbunden, dem Magistrat den Bürgereid zu leisten und muß sich darin verpflichten, diese Ordnung aufrecht zu erhalten und das Beste der Stadt nach seinen Kräften zu befördern.
 
§ 26. Einem jeden Bürger liegt die Verpflichtung ob, zu den städtischen Bedürfnissen aus seinem Vermögen und mit seinen Kräften die nöthigen Beiträge zu leisten und überhaupt alle städtische Lasten verhältnißmäßig [zu] tragen.
 
§ 27. Er ist schuldig, öffentliche Stadtämter, sobald er dazu berufen wird, zu übernehmen und sich den Aufträgen zu unterziehen, die ihm zum Besten des Gemeinwesens der Stadt gemacht werden. [ . . . ]
 
Tit. V. Von den Stadtgemeinen.
 
§ 46. Der Inbegriff sämmtlicher Bürger der Stadt, macht die Stadtgemeine oder die Bürgerschaft aus. Alle diejenigen, welche in der Bürgerrolle eingetragen stehen, sind also als Mitglieder der Stadtgemeine zu betrachten.
 
§ 47. Der Magistrat des Orts ist der Vorsteher der Stadt, dessen Befehlen die Stadtgemeine unterworfen ist. Seine Mitglieder und die Subjekte zu den öffentlichen Stadtämtern, wählt und präsentirt die Bürgerschaft.
 
§ 48. Die Bürgerschaft selbst wird in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens, durch Stadtverordnete vertreten. Sie ist befugt, dieselbe aus ihrer Mitte zu wählen. [ . . . ]
 
§ 50. In diesem Statut, welches der Magistrat des Orts entwirft und worüber die Stadtverordneten sich erklären, soll zugleich näher bestimmt werden, welche Gewerbe von den Schutzverwandten der Stadt betrieben werden können und welche das Bürgerrecht voraussetzen. [ . . . ]
 
§ 55. Die zu gemeinsamen oder öffentlichen Zwecken bestimmten, der Stadt zugehörigen Anstalten und Stiftungen, stehen mit ihrem Vermögen unter der Aufsicht der Stadtgemeine.
 
§ 56. Dieselbe ist indessen verbunden, alles dasjenige, was zur Befriedigung des öffentlichen Bedürfnisses der Stadt erfordert wird und aus dem Gemeine-Einkommen nicht bestritten werden kann, auf die Stadteinwohner zu vertheilen und aufzubringen. [ . . . ]
 
Tit. VI. Von den Stadtverordneten. Abschnitt I. Von der Wahl und dem Wechsel derselben.
 
§ 69. Die Vertretung der Stadtgemeine oder Bürgerschaft durch Stadtverordnete ist nothwendig, weil jene aus zu vielen Mitgliedern bestehn, als daß ihre Stimmen über öffentliche Angelegenheiten, jedesmal einzeln vernommen werden könnten. Deshalb soll in jeder Stadt, nach deren Größe, der Wichtigkeit der Gewerbe und dem Umfange der Angelegenheiten des Gemeinwesens, eine angemessene Repräsentation der Bürgerschaft bestellt werden und künftig bestehen. [ . . . ]
 
§ 73. Die Wahl der Stadtverordneten nach Ordnungen, Zünften und Korporationen in den Bürgerschaften wird dagegen hierdurch völlig aufgehoben. Es nehmen an den Wahlen alle stimmfähigen Bürger Anteil, und es wirkt jeder lediglich als Mitglied der Stadtgemeine ohne alle Beziehung auf Zünfte, Stand, Korporation und Sekte.
 
§ 74. Das Stimmrecht zur Wahl der Stadtverordneten und Stellvertreter steht zwar in der Regel jedem Bürger zu; jedoch sind als Ausnahmen folgende davon ausgeschlossen: a) Diejenigen, welche nach den §§ 20 und 22 im III. Titel unfähig sein würden, das Bürgerrecht zu erlangen, wenn sie solches nicht schon besäßen, b) Magistratsmitglieder, während der Dauer ihres Amts, c) Bürger weiblichen Geschlechts, d) Unangesessene Bürger – in großen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 200 Rtlr. – und in mittleren und kleinen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 150 Rtlr. jährlich beträgt, und e) Personen, welchen als Strafe das Stimmrecht entzogen ist.
 
§ 108. Die Stadtverordneten erhalten durch ihre Wahl die unbeschränkte Vollmacht, in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt die Bürgergemeine zu vertreten, sämtliche Gemeine-Angelegenheiten für sie zu besorgen und in Betreff des gemein­schaftlichen Vermögens, der Rechte und der Verbindlichkeiten der Stadt und der Bürgerschaft, namens derselben, verbindende Erklärungen abzugeben.
 
§ 109. Besonders sind sie befugt und verpflichtet, die zu den öffentlichen Bedürfnissen der Stadt nötigen Geldzuschüsse, Leistungen und Lasten auf die Bürgerschaft zu verteilen und zu deren Aufbringung ihre Einwilligung zu geben; auch überhaupt die gemeinen Lasten und Leistungen zu regulieren.
 
Tit. VII. Von den Magistraturen und Bezirksvorstehern.
 
§ 140. In jeder Stadt darf für den ganzen Polizeibezirk derselben, nur Ein Magistrat seyn. An Orten, wo mehrere Magistraturen jetzt bestehen, werden solche in einem Magistrat vereinigt. Auch für Pfälzer- und französische Kolonien können besondere Magistraturen nirgends weiter statt finden.
 
§ 141. Das Magistratskollegium soll überall aber nur aus Mitgliedern der Bürgerschaft bestehen, die das Vertrauen derselben genießen. Jeder mit Gemeinsinn erfüllte Bürger wird, auch ohne Vortheile für seine Person dabei zu beabsichtigen, dieses ehrenvolle Amt gern übernehmen. Zur Verminderung der Administrationskosten können daher nur diejenigen Magistratsmitglieder für ihre Amtsführung entschädigt werden, welche ihre Zeit derselben ganz zu widmen haben.
 
§ 142. Das Magistratskollegium soll in kleinen Städten einen besoldeten Bürgermeister, und einen besoldeten Rathsmann, der zugleich Kämmerer ist, außerdem aber nach Maaßgabe des Bedürfnisses vier bis sechs unbesoldete Rathsmänner enthalten. [ . . . ]
 
§ 152. Sämmtliche Mitglieder der Magisträte, mit Ausschluß des Oberbürgermeisters, werden Namens der Stadtgemeine von den Stadtverordneten erwählt, und von der Provinzialpolizeibehörde bestätigt. [ . . . ]
 
Tit. VIII. Von der Geschäftsorganisation und dem Verhältniß der Behörden gegen einander.
 
§ 166. Dem Staate bleibt vorbehalten, in den Städten eigene Polizeibehörden anzuordnen, oder die Ausübung der Polizei dem Magistrat zu übertragen, der sie sodann vermöge Auftrags ausübt. So wie die besonderen Polizeibehörden, welche in den Städten angeordnet werden, unter den obern Polizeibehörden stehen, so steht auch der Magistrat, welcher die Polizei vermöge Auftrags erhält, unter diesen höhern Behörden, rücksichtlich alles dessen, was auf die Polizeiübung Bezug hat. Die Magisträte werden in dieser Hinsicht als Behörden des Staats betrachtet. Der Magistrat muß die Ausübung der Polizei, so weit sie ihm übertragen wird, unweigerlich übernehmen, und die ganze Bürgerschaft in diesem Fall sowohl, als auch dann, wenn die Polizei durch eine eigene Behörde verwaltet wird, die Polizeiausübung, so weit es gefordert wird, unterstützen.
 
§ 167. Da die Ortspolizei jeder Stadt hauptsächlich für die Sicherheit und das Wohl der städtischen Einwohner thätig ist, so liegt der Stadtgemeine auch ob, die Kosten, welche die Erhaltung des nöthigen Polizeipersonals und die, nach der Disposition der Polizeibehörde, erforderlichen Anstalten nothwendig machen, aufzubringen. Ob der Magistrat oder eine andere Behörde die Polizei ausübt, macht dabei keinen Unterschied. [ . . . ]
 
§ 178. Die Geschäfte, welche der Magistrat allein zu treiben hat, werden folgende seyn:
a) die Besetzung der Magistratsstellen, Bezirksvorsteher- und Bürgerämter, nach der Wahl der Stadtverordneten, imgleichen die Wahl und Ansetzung der Unterbedienten;
b) alle die städtische Verwaltung betreffende Generalien und die auf den Antrag der einzelnen Deputationen und Kommissionen zu ertheilenden Bestimmungen in Spezialien;
c) alle Beschwerdesachen, sie mögen die Beeinträchtigung einzelner Einwohner der Stadt, die Verwaltung oder die verzögerte Abmachung betreffen;
d) die Annahme der Bürger, Führung der Bürgerrollen, Verzeichnung der Grundstückserwerber und Ertheilung der Gewerbs-Konzessionen.
Letztere kann aber da, wo der Magistrat nicht zugleich, vermöge Auftrags, die Polizeiverwaltung hat, nur nach geschehener Einwilligung der Polizeibehörde erfolgen.
e) Handlungs-, Strohm-, Schiffahrts-, Manufaktur- und Fabriken-Angelegenheiten;
f) die Kontrolle der öffentlichen Kassen, die Einforderung und Prüfung der Etats, das Rechnungswesen und die Bestimmung der zu den städtischen Bedürfnissen erforderlichen Beiträge der Bürgerschaft.
Außerdem liegt aber dem Magistrat die Aufsicht auf die Geschäftsführung sämmtlicher Deputationen und Kommissionen und die Kontrolle derselben ob. Besonders ist das Magistratspräsidium verbunden, sich darum genau zu bekümmern und die Geschäftsführung zu revidiren.
 
§ 179. Zur Geschäftsverwaltung in Deputationen und Kommissionen sind geeignet:
a) die kirchlichen Angelegenheiten.
Jede Kirche erhält einen Obervorsteher aus dem Magistrat und zwei Kirchenvorsteher aus der Gemeine, welche die Externa besorgen.
b) Schulsachen.
Die Organisation der Behörde zur Besorgung der innern Angelegenheiten, wird besondern Bestimmungen vorbehalten. Die äußern Angelegenheiten besorgt ein Magistratsmitglied als Ober-Vorsteher mit den nöthigen Vorstehern aus der Bürgerschaft. In großen und mittlern Städten, wo gelehrte Schulen bestehen, erhalten diese ihr besonderes Vorsteheramt und die übrigen Schulen nach angemessenen Abtheilungen, ebenfalls dergleichen.
c) Das Armenwesen wird von einer Deputation geleitet. In kleinen Städten soll sie aus dem Bürgermeister nebst Stadtverordneten und Bürgern aus verschiedenen Gegenden der Stadt bestehen. In großen und mittleren Städten tritt außerdem der Syndicus und nöthigenfalls noch ein anderes Magistratsmitglied hinzu. Auch werden Geistlich und Aerzte in die Deputation mit aufzunehmen sein. Wo die Polizei des Orts einer besonderen Behörde außer dem Magistrat übertragen ist, soll allezeit der Vorsteher der Ortspolizei Mitglied derselben sein. Unter dieser Leitungsbehörde, die den Namen: Armendirektion, führt, wird die Verwaltung des Armenwesens lediglich durch Kommissionen aus der Bürgerschaft besorgt, und die Stadt zu dem Ende in angemessene Armenbezirke getheilt. In kleinen und mittleren Städten werden die Bezirke ganz nach dem §. 11. bestimmten Wahlbezirken angenommen; in großen Städten können aber, nach den Umständen, mehrere Wahlbezirke in einen Armenbezirk verbunden werden. Aus jedem Armenbezirk werden zu der Verwaltung des Armenwesens, nach dem Bedürfniß ein oder mehrere Stadtverordnete oder Bürger bestellt, wovon einer wenigstens zugleich in der Direktion Mitglied ist. Diese Stadtverordnete und Bürger sind schuldig, in ihren Bezirken die Armen auszumitteln und ihren Zustand zu u ntersuchen. Ihnen insgesamt liegt aber in Absicht sämtlicher Armen der Stadt, die Sorge für Unterhalt, Krankenpflege, Beschäftigung und Erziehung nebst Unterricht, ob. [ . . . ] Das ganze Armenwesen wird also den Händen der Bürgerschaft, ihrem Gemeinsinn und der Wohlthätigkeit der Stadteinwohner anvertraut. Der Magistrat bleibt aber als Vollstrecker der Polizeianordnungen verpflichtet, darauf zu wachen, daß die Straßenbettelei abgestellt werde. [ . . . ]
d) Die Feuersozietätsangelegenheiten werden von einer besonderen Deputation, bestehend aus einem oder zwei Magistratsgliedern, und mit Grundeigenthum angesessenen Stadtverordneten und Bürgern aus den verschiedenen Gegenden der Stadt, verwaltet. [ . . . ]
 
§ 183. Kontrolle der Verwaltung durch Stadtverordnete. Die Stadtverordneten in der Gesamtheit kontrollieren die ganze Verwaltung des städtischen Gemeinwesens in allen Zweigen. [ . . . ]
 
§ 185. Verantwortlichkeit der Deputationen, Kommissionen und Bezirksvorsteher und Verhältniß derselben. Die Mitglieder jeder Kommission oder Deputation sind für den ordnungsgemäßen Betrieb ihrer Geschäfte und für die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften zunächst verantwortlich, und als Kontrolleur derselben haftet der ganze Magistrat dafür subsidiarisch; [ . . . ]
 
Gegeben Königsberg den 19ten November 1808
 

 
  (L.S.)      Friedrich Wilhelm.
 
         v. Schröter,      v. Stein «

Quellen:

[ 1] Maskolat, Henny, Wilhelm von Humboldt 1767 – 1967, Halle 1967, S. 30
[ 2] Schuffenhauer, Heinz, Johann Gottlieb Fichte, Köln 1985, S. 64ff
[ 3] Engelhardt, Emil (Hg.), Fichte - Briefe an Braut und Gattin, Leipzig, Hartenstein 1921, S. 99
[ 4] Schuffenhauer, Heinz, a.a.O., S. 30
[ 5] ebd. S. 32 u. S. 46
[ 6] Gall, Lothar, Hardenberg – Reformer und Staatsmann, München, Berlin 2014, S. 143
[ 7] Zitiert nach Klose, Carl Ludwig, Leben Karls August’s, Fürsten von Hardenberg, Königlich Preußischen Staatskanzlers, Halle 1851, S. 222
[ 8] Streisand, Joachim, Deutschland 1789 – 1815, Berlin 1977, S. 157f
[ 9] Gall, Lothar, Wilhelm von Humboldt – Ein Preuße von Welt, Berlin 2011, S. 70f
[10] Gall, Lothar, Hardenberg… , a.a.O., S. 176
[11] Vetter, Klaus, Kurmärkischer Adel und preußische Reformen, Weimar 1979, S. 124
[12] Wiegrefe, Klaus, „Die gute Revolution“ in Der Spiegel 33/2007 S. 32ff
[13] Gall, Lothar, Hardenberg… , a.a.O., S. 102f
[14] Streisand, Joachim, a.a.O., S. 159
[15] Clark, Christopher, Preußen Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, München 2008, S. 385
[16] Vetter, Klaus, a.a.O., S. 133f
[17] Gall, Lothar, Wilhelm von Humboldt…, a.a.O., S. 228f
[18] Vetter, Klaus, a.a.O., S. 136
[19] Vetter, Klaus, a.a.O., S. 141f
[20] Clark, Christopher, Preußen a.a.O., S. 365f
[21] Wiegrefe, Klaus, a.a.O. S. 32ff
[22] ebd. S. 395
[23] www.universal_lexikon.deacademic.com Erbuntertänigkeit
[24] www.preussenchronik.de Erbuntertänigkeit
[25] Vetter, Klaus, a.a.O., S. 142
[26] Streisand, Joachim, a.a.O. S. 160
[27] Kappstein, Theodor, Wilhelm von Humboldt – Ausgewählte Schriften, Berlin 1917, S. 416f
[28] Wiese, Ludwig Adolf, Das höhere Schulwesen in Preussen, Berlin 1864, S. 563
[29] Osterhammel, Jürgen, Deutschland 1800-1850 auf www.bpb.de, aufgerufen am 8.8.2012
[30] Wiese, Ludwig Adolf, a.a.O., S. 484
[31] Keym, Werner, 200 Jahre Gymnasium in Deutschland aus Zeitschrift Gymnasium 1/99
[32] Gall, Lothar, Wilhelm von Humboldt…, a.a.O., S. 176f
[33] Wiese, Ludwig Adolf, a.a.O., S. 495
[34] Lohmann, Ingrid, Lehrplan und Allgemeinbildung in Preußen, Frankfurt/M. Bern New York 1984 S. 9f
[35] Streisand, Joachim, a.a.O., S. 132ff
[36] Gall, Lothar, Wilhelm von Humboldt…, a.a.O., S. 162
[37] ebd. S. 171
[38] ebd. S. 183
[39] Wiegrefe, Klaus, a.a.O, S. 32ff
[40] Popp, Peter Andreas, Die preußischen Reformen in Vermessung Brandenburg Heft 1/04 S.14
[41] Stein, Reichsfreiherr vom und zum, Brief vom 5. November 1822 an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm: Über die allgemeinen Grundsätze des Planes einer provinzialständischen Verfassung
[42] Zit. nach Streisand, Joachim, a.a.O., S. 159
[43] Zit. nach Keym, Werner, a.a.O.
[44] Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie, Berlin 1808 auf https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/4KG6PE572A3QIUV3ZN6E4II2O5JNXE4O Stand: 02.08.2023

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