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Bismarcks Ende.

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Sozialgesetzgebung statt Sozialistengesetz.

Der Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck hatte spätestens mit dem Berliner Kongreß 1878 damit begonnen, die Generallinie der preußischen Politik zu ändern. Ende Januar 1889 erklärte er im Reichstag [ 1]:

»Ich betrachte England als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit dem wir keine Streitigkeiten haben«. und er »wünsche die Fühlung, die wir seit nun doch mindestens 150 Jahren mit England gehabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen «.

Über sein Kalkül ließe sich nur spekulieren, da ihm letztendlich der junge Kaiser Wilhelm II. in die Parade fuhr.

Damit des Reichskanzlers politisches Gespinst, eines von ihm gelenkten Gespannes mit vier Pferden (eines der Pferde sollte England sein), nicht von der Kaiserin Friedrich (Gattin des Kaisers Friedrich III. und Tochter der englischen Königin Victoria und auch nicht vom Enkel der englischen Königin, Kaiser Wilhelm II. in Unordnung gebracht werden konnte, mußte er Vorsorge betreiben und Bismarck bemühte sich redlich zwischen Wilhelm und seinen Eltern einen Keil zu treiben.

Über seine Zeit im Auswärtigen Amt schrieb Wilhelm [ 2]:

»Meine Eltern standen dem Fürsten Bismarck nicht sehr freundlich gegenüber und verdachten es dem Sohne, in seine Kreise eingetreten zu sein. Man befürchtete Beeinflussung gegen die Eltern, Hyperkonservatismus und wie die Gefahren alle hießen, die von Ohrenbläsern aller Art aus England wie aus „liberalen Kreisen“, welche im Vater ihren Hort erblickten, gegen mich angeführt wurden.
Ich habe mich nie auf solche Dinge eingelassen. Aber die Stellung im Elternhaus ist mir dadurch recht erschwert und manchmal peinlich gestaltet worden. Ich habe wegen meines Arbeitens unter dem Fürsten und meiner oft auf die schwersten Proben gestellten Diskretion für den Kanzler in der Stille recht Schweres zu tragen gehabt, der Fürst fand das anscheinend ganz selbstverständlich«.

Der Fürst andererseits wunderte sich, warum Wilhelm die ‚herzlichen‘ Gefühle des Kanzlers nicht mit den selben Gefühlen beantwortete [ 3].

Kaiser Wilhelm II. rettet den sozialen Frieden.

Anlaß zum Ende des Kanzlers war seine machiavellistische Herangehensweise zur Instrumentalisierung des, bis dahin in seinen Ausmaßen nie dagewesenen Streikes, dem Bergarbeiterstreik von 1889. Bismarcks Sozialistengesetze liefen aus und er brauchte ein Argument, seinen Kampf gegen die Sozialdemokraten fortsetzen zu können [ 4]. Die Eskalation des Bergarbeiterstreikes versprach eine breite Unterstützung für eine Verlängerung bzw. Verschärfung der Sozialistengesetze, möglicherweise sogar für einen reaktionären Putsch im Deutschen Reich, bei dem auch der Kaiser Gefahr lief, sein Amt zu verlieren. Man erinnere sich des Schicksals Napoleon III.

Schon bei Ausbruch des Streikes im Mai 1889 verschaffte Kaiser Wilhelm II. seiner Seele Luft, indem er bei einem Hoffest in Braunschweig Eulenburg anvertraute:

»Ich habe furchtbare Schwierigkeiten mit dem Fürsten; Verfassungsänderung und anderes [ 5]«.

Wilhelm II. rührte das Schicksal der Bergarbeiter zutiefst. Sein Widerstand gegen Bismarck war kein politischer Schachzug sondern eine Herzesangelegenheit. Der junge Kaiser ließ sich v. Hagemeister, dem Oberpräsidenten von Westfalen, Berichte über den Streik zuschicken. Bismarck drohte nun v. Hagemeister ihm sämtliche Unterstützung durch die Regierung zu verwehren, komme es zu Entscheidungen, die ohne das Kabinett getroffen würden [ 6]. Dessen ungeachtet verfügte der Kaiser über eine Reihe recht kompetenter Berater, die ihn über die aktuellen Ereignisse auf dem Laufenden hielten und vermochte sich so ein genaues Bild von den Vorgängen zu machen.

Er handele nach dem Motto seines Vorfahren Friedrichs des Großen: »Je veux être un roi des gueux« und sah es als seine Pflicht an, »für die von der Industrie aufgebrauchten Landeskinder zu sorgen, ihre Kräfte zu schützen und ihre Existenzmöglichkeiten zu verbessern [ 7]«.

Das war zwar alles andere als ein emanzipatorischer Ansatz aber besser wie Bismarcks Ansicht, die Sozialgesetzgebung beschneide die Freiheit der Arbeiter sich rund um die Uhr ausbeuten lassen zu können. Bismarck jammerte, daß die Industrie bereits 14% Arbeit aufgrund der Sonntagsruhe verlöre und weitere Zugeständnisse an die Arbeiter zu Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit führten [ 8]. Das war schon damals gelogen. Das Gegenteil trat ein, die Wirtschaft des Deutschen Reiches entwickelte sich in einem rasanten Tempo, wohl auch, weil gesunde und zufriedene Arbeiter mehr leisten als kranke und unzufriedene.

Bismarcks Ansatz, die Sozialisten durch Kanonen und Bajonette zu bekämpfen, lehnte der Kaiser ab. Dies ließ sich nicht mit seinem Gewissen und seiner Verantwortung vor Gott vereinbaren [ 9].

Wilhelm II. ließ den Staatsrat unter seinem Vorsitz zusammentreten und lud zur Beleuchtung der Arbeiterfrage Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein. Unangemeldet platzte Bismarck in diese Versammlung und hielt eine Ansprache, in der er das vom Kaiser ins Werk gesetzte Unternehmen „mit Ironie kritisierte und mißbilligte und seine Mitwirkung versagte[10].“

Dem Staatsrat folgte die Einberufung eines allgemeinen Sozialkongreßes, dessen Bedeutung Bismarck zu schmälern suchte, indem er einen zugunsten Berlins aufgegebenen, in Bern geplanten Kongreß zum selben Thema wiederbeleben wollte. Die Erkenntnisse des allgemeinen Sozialkongresses sollten in Deutschland die Grundlage eines neuen Arbeitsschutzgesetzes bilden [11].

Doch ohne Reichskanzler und preußischen Außenminister, beide Ämter hatte Bismarck inne, konnte der Kaiser kein Gesetz verabschieden lassen.

Wilhelm bat seinen Onkel Großherzog Friedrich von Baden um Unterstützung. Friedrich gelang es den König von Sachsen und den Großherzog von Baden für das Unternehmen zu gewinnen. Man vereinbarte, daß König Albrecht von Sachsen den Gesetzesantrag im Reichstag einbringen sollte. Daraufhin drohte Bismarck mit seinem Rücktritt.
Kaiser Wilhelm II. glaubte zur Durchsetzung eines erhöhten Wehretats im Reichstag auf Bismarck angewiesen zu sein und verzichtete vorerst auf das Arbeitsschutzgesetz.

»Meine Soldaten sind da, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber nicht, um den Zechenbesitzern hohe Profite zu sichern« [12]

 

Am 25. Januar 1890 tagte der Kronrat. Wilhelm II. bemühte sich einer drastischen Sprache, das soziale Elend der Arbeiter zu beschreiben, die von skrupellosen Kapitalisten wie Zitronen ausgepreßt würden. Bismarck blieb stur. Die Minister fügten sich, von Ausnahmen abgesehen, dem Kanzler. Wilhelm II. bemerkte hierzu gegenüber seinem Onkel: »Die Minister sind ja nicht meine Minister, sie sind die Minister des Fürsten Bismarck [13]«.

In der Hoffnung der Kaiser rücke von seinen eigenen Plänen ab, ließ Bismarck zwei stümperhafte Entwürfe zum Arbeitsschutzgesetz ausarbeiten, ohne sie gegenzuzeichnen, um sie dann, wenn ihm der Kaiser auf den Leim gegangen wäre, gegen den Kaiser zu gebrauchen [14].

Am 20. Februar 1890 fanden Reichstagswahlen statt. Die Parteien auf die sich Bismarck bislang stützen konnte, verloren ihre Mehrheit. Linksliberale, Katholiken und Sozialdemokraten gewannen die Mehrheit [15].

Frankreich forderte Revanche für den Krieg 1870/71. Rußland war von inneren Unruhen geschwächt, was die wirtschaftlichen Beziehungen zum Deutschen Reich beeinträchtigte. Schutzzölle wurden von beiden Seiten errichtet. Anstatt eine entschiedenen Friedenspolitik zu betreiben, spielte Bismarck mit dem Krieg. Er schürte die Kriegsfurcht, wobei Zweifel angebracht sind, inwieweit er selbst eine Kriegsgefahr wahrnahm.

Das deutsch-russische Verhältniss verschlechterte sich [16]. Erneut schürte Bismarck eine Krise in der Hoffnung, zu ihrer Bewältigung unverzichtbar zu sein.

Nun waren 50% der russischen Staatsanleihen in Deutschland platziert und die spekulierende Gesellschaft fürchtete um ihren Profit. Als Gerson Bleichröder eine Umschuldung aushandelte, brach ein Sturm der Entrüstung los, da ein schneller geringerer Profit durch einen späteren höheren ersetzt worden wäre.

Eine antisemetistische Stimmung wurde geschürt (Bleichröder war Jude) um Bismarck und „seinen“ Bankier aus dem Weg zu räumen. Der Jude würde den Russen mit deutschem Geld versorgen, was dieser zu einem Krieg gegen Deutschland verwenden wolle. Daß der deutsche Jude Bleichröder mit dieser Umschuldung, dem an der Aktion ebenfalls beteiligten französischen Juden Rothschild einen großen Teil der Provision abgehandelt hatte ist Nebensache.

Der antisemitischen Hetze gegen Bleichröder – und ein gewisser Graf v. Waldersee hetzte mit – bedeutete das Ende für die Umschuldung. Die Russen wickelten ihre Geldgeschäfte in Paris ab. Ein gewisser Rothschild hatte schon im Vorfeld mit dem Zaren Tuchfühlung aufgenommen [17].

Bleichröders Umschuldung wurde von der Politik zunichte gemacht. Wilhelm II. traute Waldersee mehr als seinem eigenen Verstand. Gerson Bleichröders letztes großes Geschäft hätte das schnelle, gegen Deutschland gerichtete Bündnis zwischen Rußland und Frankreich verhindert und wäre für den Erhalt des Deutschen Reiches von unermeßlichem Wert gewesen.

Eine von Bleichröder vermittelte Zusammenkunft Bismarcks mit dem Zentrumspolitiker Windhorst ließ die Spekulationen ins Kraut schießen [18].

Am 15. März 1890 9:30 Uhr zitierte der Kaiser Bismarck zu sich und wies ihn zurecht.
Bismarck schäumte vor Wut und provozierte den Kaiser in einer Weise, die diesen instinktiv nach dem Degen greifen ließ. Bismarck, der eiserne Kanzler, wurde weich und weinte. Den Kaiser ließen des Kanzlers Krokodilstränen ungerührt.

Am 18. März 1890 reichte Otto Fürst von Bismarck sein Rücktrittsgesuch ein. Die Differezen bezüglich der Umschuldung (Bismarck dafür – der Kaiser dagegen) ist dabei weniger von Gewicht, als Bismarcks Politik Konflikte zu eskalieren, um sich als Krisenmanager größere Befugnisse aneignen zu können. Dem Kaiser ging es um den Erhalt des sozialen Friedens und nicht um die Instrumentalisierung sozialer Konflikte.

Zwischen 1890 und 1892 vermochte Kaiser Wilhelm II. eine Reihe von Gesetzen verabschieden zu lassen, die dafür sorgten, daß sich das Deutschen Reich die fortschrittlichste Sozialgesetzgebung seiner Zeit gönnte [19].

Bismarck sprach Kaiser Wilhelm II. ein Recht ab, das er Wilhelm I. bereitwillig zugebilligt hatte: Das Recht des preußischen Königs auf die letzte Entscheidung.

Dem König von Preußen dies Recht zu nehmen, blieb auch nach dem Sturz Bismarcks auf der politischen Tagesordnung.

 

Quellen:

[ 1] Schulz, Bernhard, Bismarcks Stimme, auf www.tagesspiegel.de, abgerufen am 17.04.2019
[ 2] Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten 1878-1918, Wolfenbüttel 2012 (Nachdruck der Originalausgabe von 1922), S. 11
[ 3] Bismarck, Otto von, Gedanken und Erinnerungen, München, Berlin 1982, S. 592
[ 4] Gall, Lothar, Bismarck, Frankfurt/M., Berlin 2008, S. 800
[ 5] Chamier, Daniel, Wilhelm II. – Deutscher Kaiser, München, Berlin 1993, S. 61f
[ 6] Clark, Christopher, Wilhelm II. – Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2009, S. 64
[ 7] Wilhelm II., a.a.O., S. 30f
[ 8] Bismarck, Otto von, a.a.O., S. 541
[ 9] Wilhelm II., a.a.O., S. 32
[10] ebd. S. 30f
[11] ebd. S. 31
[12] Wilhelm II. Zitat nach Engels, Friedrich in Marx/Engels – Werke Bnd. 21, Berlin 1972,S. 377
[13] Clark, Christopher, a.a.O., S. 68f
[14] Chamier, Daniel, a.a.O., S. 65
[15] Stern, Fritz, Gold und Eisen, München 2008, S. 624
[16] Ganelin, R. Sch., Geschichte der UdSSR Teil I, Moskau 1977, S. 309
[17] Stern, Fritz, a.a.O., S. 618ff
[18] ebd., S. 625
[19] Clark, Christopher, a.a.O., S. 72f

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