Nach der Schlacht von Leipzig traten dem Beispiel Bayerns folgend, weitere deutsche Staaten dem Bündnis gegen Napoleon bei. Das Königreich Westfalen, die Großherzogtümer Berg und Frankfurt wurden aufgelöst. Das Schicksal Sachsens blieb noch in der Schwebe. Hannover, Hessen-Kassel und die Freie Stadt Frankfurt erstanden auf’s Neu [1].
Das Heer der Verbündeten trennte sich. Bernadotte wandte sich mit der Nordarmee gegen Dänemark. Bülow und Winzingerode lösten sich mit ihren Corps aus der Nordarmee, um im Kampf gegen Napoleon weiterhin Verwendung zu finden.
Blücher genötigt die Kaiserstadt Frankfurt zu umgehen traf mit dem Gros der erschöpften Schlesischen Armee am 4.11. in Gießen ein. Hier gönnte er den Soldaten ihre verdiente Verschnaufphase. Das Corps St. Priest hatte bereits am 31.10. die Hauptstadt des Königreichs Westfahlen, Kassel, besetzt und nutzte die vollen Magazine des Königs Lustig das Corps neu einzukleiden.
Blücher plante, daß St. Priest und Langeron mit ihren Corps bei Mühlheim über den Rhein gehen sollten, um über Aachen nach Brüssel zu ziehen. Die Corps Yorck und Sacken sollten lahnabwärts ziehen, um Napoleon auf den Fersen zu bleiben.
Doch am 11.11. wurde Blücher gestoppt. Das Große Haupquartier in Frankfurt untersagte ihm den Vormarsch am Niederrhein [1a].
Die Diplomaten entwickelten in Frankfurt ihr übles Spiel [2]. Metternich machte den Franzosen ein Friedensangebot. Napoleon lehnte ab. Daraufhin beschloß man das Hauptheer unter Schwarzenberg über die Schweiz in den Süden Frankreichs zu entsenden, wo es gemeinsam mit dem aus Spanien heranziehenden Wellington gegen Napoleon vorgehen sollten. Gute Idee, denn der Kaiser von Rußland – Befürworter des Friedensangebotes – und solang auf Metternichs Linie, sah England und Österreich den Rahm der Milch abschöpfen, den Russen und Preußen unter großen Opfern gewonnen hatten. Die Schlesische Armee sollte nicht über den Rhein gehen und vor Mainz ihr Lager aufschlagen.
Über die Herren Diplomatiker in Frankfurt erging sodann ein Donnerwetter, das selbst den Beelzebub in des Herrgotts Arme getrieben haben dürfte. Blücher erschien. „Sein keckes Reden schlug Wunden wie sein Schwert“, „vor der Heldenkraft des alten Feldmarschalls sank manches glänzende Ansehen in den Staub, wurde manche vornehme Feigheit zu nichte; er sprach von Schuften und Galgen verdienen.“ Knesebeck, der für Preußen an den Frankfurer Verhandlungen teilgenommen hatte schrieb später: »Ich habe Alles über mich ergehen lassen, habe es ruhig ertragen, dass mir der Feldmarschall Vorwärts die härtesten Sachen sagte, bin aber vor Verdruss und Aerger krank geworden«. Blücher, Kaiser Alexander I., Gneisenau und nicht zuletzt dem Freiherrn vom und zum Stein ist es zu verdanken, daß Metternich nachgeben mußte [3].
Die Bemühungen den Feldmarschall in Mißkredit zu bringen, man könne einem Spieler doch keine Armee anvertrauen, prallten an der ordensgeschmückten Brust des alten Haudegens ab. Der König von Preußen, wie auch der Kaiser von Rußland kannten Blücher seit fast 10 Jahren und so wundert es nicht, daß die Schlesische Armee verstärkt und nicht aufgelöst wurde.
Die Sympathien Napoleons hingegen sanken auch im eigenen Land. Auf der Neujahrscour 1814 tröstete der Kaiser die gesetzgebende Versammlung mit den Worten:
»Der Friede? Den will ich auch. In drei Monaten sind die Feinde aus Frankreich heraus, oder ich bin tot«. Der Kaiser hielt sein Wort nicht.
300 000 Mann wollte er ausheben, vermochte davon aber nur 60 000 einzukleiden. Frankreich war pleite [4].
In der Schlesischen Armee freute sich Marschall Blücher die neu hinzugekommenen Heeresteile zu begrüßen [5][6]:
»Die verbündeten Monarchen sind mit dem Schlesischen Heer zufrieden.
Sie haben es dadurch bewiesen, daß sie dieses Heer verdoppeln, durch euch, ihr tapferen Soldaten des zweiten preußischen Heeresteils, die ihr bei Kulm und in der blutige Schlacht von Leipzig unter den Augen der erhabenen Monarchen fochtet;
durch euch, ihr biederen Hessen, die ihr nie den deutschen Charakter und die Treue gegen die in eurer Mitte geborenen Fürsten verleugnetet, und durch euch, Soldaten des fünften deutschen Heeresteils, die Ihr selbst in den Reihen unserer Feinde
des deutschen Namens nicht vergaßt und, obgleich aus verschiedenen Völkerschaften zusammengesetzt, doch fest verbunden seid durch gleiche Gesinnung, durch gleichen Abscheu gegen die Herrschaft der Ausländer, die euch so lange unterdrückten und verachteten.
Soldaten! Ich fühle mich im hochgeehrt, euer Feldherr zu sein.
Das Schlesische Heer des Jahres 1813 empfängt euch als Brüder, als wertvolle Mitglieder, mit denen es freudig alles teilen wird. Das Schlesische Heer des Jahres 1814 wird ruhmvoll auf dem gebahnten Wege der Ehre fortschreiten. Und Ihr, Deutsche! von Euren angestammten Fürsten geführt, seid versichert, daß es meine erste Sorge, mein höchster Stolz sein wird den übermütigen Feind die Gewalt eurer Waffen fülen zu lassen, damit er erkenne – was auch der List vormals gelungen sein mag – daß die alte deutsche Tapferkeit noch in uns lebt und damit das Band des Friedens dauerhaft geknüpft werde durch eure letzten Taten.«
Die Schlesische Armee des Jahres 1814 setzte sich wie folgt zusammen:
Am 16. Dezember 1813 feierte Blücher auf einem ihm zu Ehren veranstalteten Ball in Wiesbaden seinen 71. Geburtstag. Die Entscheidung ob, wann und wie gegen Napoleon weiter vorzugehen sei, war noch nicht gefällt.
Blüchers Durst und Spielleidenschaft könnte es zu verdanken gewesen sein, daß Schwarzenberg den größten seiner zahlreichen Fehler beging. Der Oberbefehlshaber der verbündeten Streitkräfte überließ es Blücher, sein künftiges Vorgehen gegen die Franzosen selbst zu bestimmen.
Am 25. Dezember 1813 ging der Feldmarschall in die wohlverdiente Winterpause nach Frankfurt/Main. Die Franzosen gingen daran, das linke Rheinufer zu befestigen und ließen somit anschaulich werden, daß jeder Tag Rast den Krieg verlängerte. Die Schlesische Armee machte Pause im Rhein-Main Gebiet. Sacken in Darmstadt, St. Priest in Ehrenbreitstein, Yorck in Wiesbaden und Langeron in Frankfurt [6a].
Das Herzogtum Nassau befand sich aber nicht in der Lage das dort stehende Korps Yorck zu verpflegen. Die 22 000 Soldaten und 7 500 Pferde mußten durch die umliegenden Regionen mitversorgt werden.
Am 26.12. traf Blücher die „Allgemeine Disposition zum Übergang des schlesischen Kriegsheeres über den Rhein“ an. Das Heer sollte den Rhein auf einer Leinwandpantonbrücke überqueren. Die Basis der Brücke bildeten die russischen, mit Pech abgedichteten, Leinwandboote. Am 31.12.1813 22:00 Uhr begann die Aufstellung der Vorhut das Yorck’sche Korps. Um 24:00 Uhr war die Aufstellung beendet.
Am 1.1.1814 02:30 Uhr: 200 Brandenburgische Füsiliere und 20 Ostpreußische Jäger setzten bei Kaub in Fischerkähnen über den Rhein. Die schwache Besatzung des frz. Zollhauses floh. Im Laufe der Nacht setzten weitere Truppen über. Der Vorhut gelang es unbehelligt bis Bacharach vorzugehen. Auch bei Koblenz und Mannheim überquerten die ersten Abteilungen der Schlesischen Armee den Rhein [7]
In Kaub wurde mit der Errichtung der Leinwandpantonbrücke begonnen. Bis 9:00 Uhr morgens wurde der erste, leichtere Bauabschnitt bis zur Pfalz (in der Mitte des Rheins) abgeschlossen. 120 m Wasser waren überbrückt worden. Gegen 16:00 Uhr lösten sich Anker der über die Pfalz hinausgetriebenen Pantons. Die Fertigstellung der Brücke schien gefährdet. Für die Kauber Bevölkerung war das ein zusätzliches Unglück, da die Versorgung tausender, am Weitermarsch gehinderter Soldaten, auf Kosten der Bevölkerung erfolgte. Die Soldaten nahmen sich was sie brauchten: Lebensmittel und Brennholz [7a].
Bis Abend wurde die gesamte Infantrie der Vorhut übergesetzt. In Kähnen überquerten weitere Truppenteile den Rhein. Am 2.1. um 09:00 Uhr war der zweite, 195 m lange Teil der Leinwandpantonbrücke fertiggestellt. In der Nacht zum 3.1. hatte das Yorck’sche Korps den Rhein vollzählig überquert. Ihm folgte das Korps Langerons.
Am 5.1. war der Übergang der beiden Korps 46 000 Mann, 15 000 Pferde und 192 Geschütze abgeschlossen. Die Brücke wurde abgebaut und verladen. Die Verbindung zur rechten Rheinseite sollte laut Disposition Blüchers durch eine, bei Oppenheim zu schlagende, hölzerne Pantonbrücke erfolgen [8].
Das Hauptquartier plante ohne Nordarmee. Der Kronprinz von Schweden (Bernadotte) fiel, sich seiner norwegischen Beute widmend, aus. Bülow und Winzingerode lösten sich aus der Nordarmee, um über die Niederlande nach Frankreich zu ziehen. Die Schlesische Armee sollte durch Lothringen, alles links und rechts außer Acht lassend auf Paris marschieren. Das Hauptheer beabsichtigte über Basel nach Frankreich zu ziehen, um Napoleons Heer an die schweizer Grenze zu ziehen [8a].
Die Schlesische Armee zog, in viele einzelne Kolonnen aufgeteilt, durch das heutige Rheinland-Pfalz. General von Langeron belagerte mit dem größeren Teil des russischen Corps der Schlesischen Armee Mainz. Blücher selbst marschierte u.a. mit dem Corps Yorck schnell in Richtung Saarbrücken, um eine Vereinigung der französischen Heeresteile von General Durutte (sich aus Koblenz zurückziehend) und des von General Marmont (durch von Sacken aus Kaiserslautern geworfen) zu verhindern. Was jedoch nicht gelang. Mit den Einheiten Durutes verfügte General Marmont nun über annähernd 25000 Mann, mit denen er bei Saarbrücken über die Saar ging. Marschall Blücher wie auch General von Sacken blieben ihm auf den Fersen [9].
Am 9. Jan. 1814 richtete Blücher sein Hauptquartier in St. Wendel ein. Die Franzosen hatten die Brücken über die Saar zerstört. Am 10. Januar überquerten Sacken und Yorck auf Behelfsbrücken die Saar. Marmont zog sich weiter über Metz nach Verdun zurück. Wittgensteins Corps der Hauptarmee ging bei Fort-Louis über den Rhein und verfolgte die französischen Truppen unter Marschall Victor und General Milhaud über Nancy bis Châlons, wo sie sich mit Marmonts Verbänden vereinigten. Winzingerode hatte bei Düsseldorf den Rhein überschritten und folgte den sich ebenfalls nach Châlon ziehenden Truppen Marschall Macdonalds und General Sebasiani [10]. Sacken besetzte infolge mit seiner Reiterei Nancy. Blücher traf am 17. Jan. 1814 in der ehemaligen Hauptstadt Lothringens ein [11].
Dies 1813 von Arndt stammende Flugblatt mochte dem Marschall Vorwärts bei seiner Replik auf die demütigende Begrüßung durch die Stadtoberen von Nancy die wohl auch aufgrund der hetzerischen französischen Presse zu den bekanntesten Reden Blüchers gehört, da mitgeschrieben und als Flugblatt verbreitet, mitgeschwungen haben, als er mit den Worten endigte:
»Ich bedaure es, Euch nicht alle vom Kriege unzertrennliche Lasten und Uebel ersparen zu können. Ich werde Alles thun, was von mir abhängt, um die Bürde derselben zu erleichtern. Wir verachten es, Euch die Verwüstungen, welche von Euren Heeren in unnseren Ländern angerichtet worden, zu vergelten und dafür Rache zu nehmen. Wir führen den Krieg nur gegen diejenigen, die ihn so gerne verewigen möchten. Die verhasstesten Eurer Abgaben, die droits réunis, die gabelle, die droits d’enregistrements habe ich aufgehoben. Vermöchte ich nur, namentlich für Euch brave Lothringer, die gute, alte Zeit wirder zurückführen zu können, deren Eure Vorfahren unter der milden und väterlichen Regierung Eurer alten Herzoge genossen! Doch Gott wird uns alle schon helfen! [12]« .
Bei dem letzten Vertreter der alten Herzöge handelte es sich um den Großvater des österreichischen Kaisers Franz I., dessen Heirat mit Maria Theresia zu einem Krieg Frankreichs und seiner Verbündeten gegen Österreich führte und infolge zur Aufgabe des Herzogtums Lothringen. Ernst Moritz Arndt, dessen Lieder und Schriften während und nach den Befreiungskriegen einen großen Einfluß in den deutschen Staaten hatten, sah den Rhein als Deutschlands Strom und nicht als Deutschlands Grenze. Der französischen These vom Rhein als der natürlichen Grenze Frankreichs hielt er entgegen: »Die einzige, gültigste Naturgrenze macht die Sprache[13]«. Zur Erinnerung: An beiden Ufern des Stroms wurde deutsch gesprochen.
Von Nancy aus zog Blücher weiter nach Brienne. Kleist marschierte auf Metz und Yorck stand bei Verdun. General Wrede befand sich in Charmes an der Mosel und General Sacken war in Richtung Ligny und Joinville weitergezogen.
Napoleon verließ Paris und erreichte am 26. Januar Châlons. Mit einer mittlerweile auf 80 000 Mann angewachsenen Armee suchte er in die Offensive zu gehen. Sein Ziel war es in Überzahl Blücher in Brienne zu schlagen bzw. vom Hauptheer zu trennen.
Der Feldmarschall erfuhr, nachdem er eine Meldung der Franzosen abfangen konnte, von Napoleons Plan die Kräfte gegen ihn zu konzentrieren. Die Option, sich zurückzuziehen, verwarf er und nahm den Kampf an [14]. Am 29. Jan. beschoß Napoleons Artillerie die Stadt. Blücher koordinierte die Kampfhandlungen vom Brienner Schloß aus, das einen guten Überblick über die Region erlaubte. Napoleon sammelte die Reiterei am rechten Flügel gegen die Stadt, wobei die schwierigen Bodenverhältnissen ihren Einsatz behinderte. Blücher erkannte das und ließ Pahlen und Wasiltschikoff (Corps Sacken) mit der Kavalerie die sich zum Sturm auf Brienne formierende Infanterie Napoleons auseinanderjagen [15][16].
Gegen abend drangen die Franzosen dann doch massiv in Brienne ein und stürmten das Schloß. Das Gefecht dauerte bis 11 Uhr des nächsten Morgens. Brienne konnte zwar zurückerobert werden, nicht aber das Schloß. Eine strategisch unglückliche Situation, die Blücher veranlasste sich nach Trannes (ca. 10 km südl. von Brienne) zurückzuziehen, um das Herannahen Schwarzenbergs abzuwarten.
Blüchers Bitte um Verstärkung durch die von Schwarzenberg geführte Hauptstreitmacht, gab den Diplomaten und Pfennigfuchsern erneut Anlass, Blücher zu kritisieren, um neuerlich Friedensverhandlungen einzufordern. Schwarzenberg schrieb am 29. Jan. in einem vertraulichen Brief über Blücher:
»Blücher, Blücher und mehr noch Gneisenau – denn der gute Alte muß seinen Namen leihen – treiben mit einer so wahrhaft kindischen Wuth nach Paris, dass sie alle Regeln des Krieges mit Füssen treten. Ohne die Hauptstrasse von Châlon nach Nancy mit einem bedeutenden Corps zu decken, laufen sie wie toll nach Brienne, ohne sich um ihren Rücken und Flanken zu kümmern machen sie Entwürfe zur parties fines im Palais Royal; das ist doch armselig in einem so wichtigen Moment[17].«
Daß Schwarzenberg Blücher die notwendige Unterstützung trotzdem zukomen ließ, war nicht Schwarzenbergs Kampfgeist, noch dem Vertrauen geschuldet, das er in Blüchers Fähigkeiten setzte. Es war die pure Angst vor Napoleon. Denn zwischen ihm und Napoleon stand einzig und allein Feldmarschall von Blücher und dessen an sich schon geringe Portion an Großmut gegenüber den Diplomatikern war aufgebraucht.
In einem Brief an seinen Freund Vincke schrieb er am 28.Januar:
»Napoleon will negociren; alle wir Gutgesinnten wollen schlagen, der edle Alexander auch. Aber die Diplomatiker haben hundert andere Projecte. Soll die Sache gut für die Menschheit werden, so müssen wir nach Paris; dort können unsere Monarchen einen guten Frieden schließen, ich darf sagen: dictiren. Der Tyrann hat alle Hauptstädte besucht, geplündert und bestohlen; wir wollen uns sowas nicht schuldig machen, aber unsere Ehre fordert das Vergeltungsrecht ihm in seinem Neste zu besuchen. — Sobald sie wieder anfangen zu negociren, verlasse ich die Armee und gehe zur Ruhe[17].«
Blücher erhielt die nötige Unterstützung, zögerte jedoch sofort loszuschlagen, da er hoffte der französische Kaiser würde ihm den Gefallen tun, ihn in Trannes, wo Blücher seine Artillerie in eine vorzügliche Stellung gebracht hatte, anzugreifen. Doch Napoleon tat Blücher diesen Gefallen nicht, ließ aber für alle Fälle schon einmal die Brücke bei Lesmont wiederaufbauen, für den Fall, daß er zum Rückzug gezwungen sein würde [18].
Liebend gern hätte der mit dem Ehrenname Marschall Vorwärts bedachte Blücher auch Yorcks Ankunft abgewartet, um in der bevorstehenden Schlacht die völlige Niederlage Napoleons herbeizuführen. Doch noch zweifelte man daran, daß Blüchers Fähigkeiten dem Kriegsgenie Napoleons ebenbürtig wären. Das Yorcksche Corps sollte nicht geschwächt werden und blieb außen vor. Und dennoch wurde La Rothiere der Ort, an dem erstmals dem franz. Kaiser die Ausreden abhanden kamen, mit denen er seine Niederlagen zu beschönigen pflegte und es sollte der Platz sein, an dem Blüchers Kritiker verstummten - für ein Weilchen.
Von Schwarzenberg überließ Blücher die Heeresteile Giulays und des Kronprinzen von Württemberg. Blücher verfügte damit über 50 000 Mann. 60 000 Mann wurden in unmittelbarer Nähe als Reserven gehalten. Am 1. Febr. rückten die Verbündeten Heere vor. Der Boden war aufgeweicht, was eine doppelte Bespannung der Geschütze notwendig machte, d.h. nur die Hälfte der verfügbaren Geschütze mitgeführt werden konnten. Sacken marschierte gegen die Franzosen in der Mitte in gerader Linie auf La Rothiere zu. Links von ihm Giulay und rechts von ihm der Kronprinzen von Württemberg. Sacken ließ die leichte Reiterei unter Wassiltschikoff gegen die Geschütze Napoleons vorgehen, die aber zurückgeschlagen wurde. Der Gegenangriff der Franzosen wurde durch das Feuer der Infanterie und schließlich durch die Dragoner Sackens abgeschlagen und bei starkem Schneefall gelang es den Russen 32 Kanonen zu erbeuten. Die durch den Schneefall verursachte schlechte Sicht verhinderte, daß Blücher einen Überblick über das Geschehen auf dem Schlachtfeld gewinnen konnte. Zeitweise mußten sogar die Geschütze schweigen, da die Ziele, auf die sie hätte gerichtet werden können, nicht auszumachen waren. Die französische Reiterei formierten sich neu und wurde von General Colbert erneut in die Schlacht geführt.
Sackens Infanterie versuchte La Rothiere einzunehmen. Die Franzosen unter General Duhesne hielten dagegen. Die Schlacht wogte hin und her. General Oudinot kam Duhesne mit frischen Truppen zu Hilfe. Feldmarschall Blücher selbst kam Sacken zu Hilfe und griff mit dem als Rückhalt dienenden Rest des Corps Sacken in die Kämpfe ein. La Rothiere wurde um 11 Uhr nachts genommen.
Der Kronprinzen von Württemberg nahm im heftigen Kampf gegen General Victor das Vorwerk la Giberie und Wrede, jenseits des rechten Flügels, vertrieb Marschall Marmont aus Chaumesnil. Hierdurch wurde Napoleons Flanke bedroht. Auf dem linken Flügel focht Giulay nahe Dienville, vermochte aber nicht den Ort im Kampf gegen die Franzosen einzunehmen. Um Mitternacht gab Napoleon Befehl zum Rückzug. Die Franzosen zogen nach Brienne, weiter über die Brücke von Lesmont, die sie anschließend zerstörten, auf das andere Ufer der Aube nach Arcis-sur-Aube.
Die Verbündeten verloren ca. 5000 Mann (Tote und Verwundete). Die größten Verluste erlitt dabei das Corps Sacken. Die Franzosen verloren ebenfalls ca. 5000 Mann durch Tote und Verwundete, hinzu kamen 15000 Gefangene und 82 Geschütze [19][20].
Die Schlachten von Brienne und La Rothiere sollten nur die ersten eine Reihe von Gefechten sein. Blücher richtete sich in Vitry ein. Die Hauptstreitmacht hatte die längste Linie Basel – Paris zu halten und die längsten Versorgungswege um Nachschub heranzuführen. Deshalb verlegte Schwarzenberg sein Hauptquartier zurück nach Bar sur Aube. Wittgenstein, der die Verbindung zwischen dem Hauptheer und Blücher halten sollte, wurde auf das linke Ufer der Aube zurückgezogen [21] und bildete mit General Wrede die auf Paris vorrückende Vorhut der Hauptarmee Schwarzenbergs. Damit verlor Blücher die Deckung seiner linken Flanke. Noch bevor sich Blücher einen Überblick über die Lage verschaffen konnte, änderte Napoleon seinen Plan [22].
Hatte er zunächst beabsichtigt, sich dem Hauptheer Schwarzenbergs zu widmen, zog er nun Blücher entgegen, der seinen Weg nach Paris unbeirrt fortsetzte. Das Schlesische Heer zog in weit auseinander gezogenen Kolonnen und Heeresteilen südlich der Marne nach Westen.
Niemand wußte zu sagen, welche Einheit wann, wo zu finden war. Aus einem Scharmützel bei Sezanne entwickelte sich das Gefecht von Montmirail. Napoleon hatte am 9. Feb. in Sezanne die Reiterei von Karpoff vertrieben. Karpoff zog sich nach Montmirail zurück. Napoleon zog weiter nach Norden, traf auf General Olsufieffs Truppen die sich gegen die Franzosen hartnäckig verteidigten, doch letztlich vernichtend geschlagen wurden. Die Franzosen erreichten die Straße zwischen Châlons und Paris, auf der Blüchers Schlesische Armee unterwegs war, und trennte die als Vorhut vorauseilende Reiterei Sackens und Yorcks von den nachfolgenden Heeresteilen [23].
Als Sacken, der gerade Macdonald bei Ferté-sous-Jonarre in die Flucht geschlagen hatte, hörte, daß Napoleon über Montmirail anrückte, kehrte er um und marschierte Napoleon entgegen. Es entspann sich nahe Montmirail eine Schlacht in der sich Sacken, nur dank eines Entlastungsangriffs durch Yorck, unter großen Verlusten nach Norden zurückziehen konnte. Sacken wie Yorck überquerten am 12. Feb. die Marne und zogen nach Châlon.
Blücher, der den Schlachtenlärm gehört und richtig interpretiert hatte, zog die ihm verbliebenen Truppen zusammen, konnte aber ohne Reiterei nicht eingreifen und wartete das Eintreffen des in der Nähe stehenden Generals von Kleist ab. Mit nun 15000 Mann und bei nur 1100 Reitern zog Blücher am 13. Feb. nach Westen und warf Marmont aus Montmirail [24]. Napoleon kam u.a. mit der Alten Garde Marmont zu Hilfe und führte nach und nach an die 30000 Mann ins Gefecht, das er nicht zuletzt Dank der 6000 Reiter bestimmte.
Blüchers Schlesische Armee geriet in arge Bedrängnis. Der Marschall selbst schwankte in seiner Siegesgewißheit und schloß sich mit gezogenem Säbel einem Karree Schlesischer Landwehr an, das sich der Angriffe polnischer Ulanen zu erwehren hatte. Als ihn sein Adjutant Graf von Nostiz, der seine Anwesenheit im Hauptquartier vermißt hatte, fand, und ihn zur Rückkehr aufforderte, hatte der alte Feldmarschall bereits seine Zuversicht, wohl auch angesichts der unerschütterlich kämpfenden Freiwilligen, wiedergewonnen [25]:
»Nu, dann laßt uns weiter reiten.«
Die Schlesische Armee bildete eine feste, von der Reiterei flankierte, Formation aus Karrees, Kolonnen, in deren Mitte die Geschütze mitgeführt wurden. Sie zog sich, den ständigen Angriffen der erdrückenden, französischen Übermacht erwehrend, zurück. Napoleon ließ Blüchers Kolonne, in der Absicht, ihr den Weg zu verstellen, überflügeln - doch umsonst. Mit wohlplatzierten Schüssen, der stets einsatzbereit gehaltenen Geschütze, haute die preußische Artillerie dazwischeen und schoß den Weg frei. Diese Schlacht wurde als gravierende Niederlage gewertet, nicht zuletzt, weil Napoleon die gefangen genommenen Soldaten der Schlesischen Armee in Paris vorführte? Der Kaiser hatte gute Propaganda nötiger denn je.
Yorck erhielt Order sich über die Marne zurückzuziehen. Das tat er - nicht! Er eilte dem bedrängten Sacken zu Hilfe und handelte wieder einmal nach eigenen Ermessen vernünftig. Hier gab es keine Politik, keine Russen und keine Deutschen. Hier herrschte der überbordende Corpsgeist der Schlesischen Armee.
Napoleon gab sein Ziel die Schlesische Armee zu vernichten auf. Blücher biwakierte in Étoges und zog anschließend weiter nach Châlon, wo er sein Heer sammelte. Dem ins Grübeln geratenen Zaren von Rußland ließ er die Nachricht zukommen:
»Eure Majestät mögen sich kein graues Haar wachsen lassen, ich werde ihn [Napoleon] doch schon am Ende fangen. Blücher [26]«.
Der Oberbefehlshaber der verbündeten Streitkräfte Fürst von Schwarzenberg bat den Kaiser der Franzosen um Frieden. »Die Elenden«, schrieb Napoleon an seinen Bruder Joseph: »beim ersten Mißlingen fallen sie auf die Knie«. In den Friedensunterhandlungen zu Chatillon überließ man den Franzosen erneut die linksrheinischen Gebiete Deutschlands. Blücher hatte in den vergangenen Schlachten Federn lassen müssen, seine Schlesische Armee war zu schwach, den Kampf fortzusetzen, hätte sie nicht zwei neue mächtige Schwingen erhalten: Bülow und Winzingerode hatten sich mit ihren Corps den Weg nach Süden gebahnt. Blücher zog ihnen entgegen und wie schon vor Leipzig setzte man vereint mit diesen Heeresteilen der Nordarmee den Kampf fort, den Schwarzenberg schon verloren glaubte [27].
Anhang:
Blüchers Rede (nach einer Mitschrift) vor den Stadtoberen in Nancy 1814 [12]:
»Meine Herren! Ich bin mit den Gesinnungen zufrieden, welche Sie in Ihrer Rede gegen mich geäussert haben. Die gerechte Vorsehung hat endlich unsere Waffen auf französischen Grund und Boden geführt; durch den unersättlichen Ehrgeiz desjenigen, welcher seit vierzehn Jahren über das Schicksal Frankreichs gebietet, ist das ganze Europa aus seiner falschen Sicherheit geweckt worden. Die Völker von der Wolga, der Donau, der Elbe, der Themns, des Tejo haben ihre Heimat verlassen und stehen jetzt auf dem Boden dieses sonst so glücklichen Frankreichs.
Viele dieser Völker waren einst mit Freundschaft und Anhänglichkeit Frankreich zugethan; alle sind nun dessen Feinde geworden! Und welches ist der Grund davon gewesen? Nichts als der übertriebene und unermüdliche Ehrgeiz eines Einzigen! Er ist es, welcher sogar aus solchen Völkern Krieger emacht hat, die es zuvor nicht waren, weil sie die Erniedrigung und die Schande, worunter sie seufzten, den Hohn und die Räubereien seiner Satelliten nicht länger zu ertragen vermochten. Werfet Eure Blicke auf jene Portugiesen, welche jetzt an den Ufern der Garonne stehen, man zählt sie jetzt zu Europas besten Truppen; auf jene Holländer, welche, von den gemeinsamen Gefühlen beseelt, das unerträgliche Joch abgeschüttelt haben und den Schild gegen Euch erheben. Gott in seiner Gerechtigkeit hat endlich eiin strenges Gericht gehalten; sechsmalhunderttausen Franzosen sind in zwei Feldzügen von der Oberfläche der Erde verschwunden. Arme, beklagenswerte Opfer der unermesslichen Ehrsucht eines Eroberers, verschwenderisch mit dem Blute eines Volkes, dem er ein Fremdling ist! Und welchen Preis sehe ich in Frankreich für so viel vergossenes Blut? Eine ganze Generation, die jungen Leute von zwanzig bis dreissig Jahren, von der Oberfläche der Erde vertilgt, der Krieg hat sie verschlungen; das baare Geld ist verschwunden, der Handel vernichtet, die Industrie in Verfall, der Ackerbau ohne Ermuthigung, das Volk seufzend unter der Last ungeheurer Abgaben; Tausende von Conscribirten durch Gendarmen aus dem Schosse ihrer Familien zu den Waffen geschleppt und mit Gewalt unter die Fahnen des Ehrgeizigen gezwungen, der sie aus Mangel an Fürsorge für ihre Nahrung umkommen läßt; besoldete Spione in allen Gesellschaften, welche die Klagen und Seufzer, die das Unglück erregt, ihrem Chef Savary hinterbringen; Militair- nd Special-Commissionen, welche die Bürger, die es wagen, sich über die unverschränkte und willkürliche Herrschaft zu beklagen, zum Tode, zu den Galeeren, zu ewiger Gefangenschaft verdammen. Und dies ist der Preis der unaufhörlichen Kriege, durch welche so viele Völker der Erde so unglücklich geworden sind. Also bloss für Generale, Intendanten, Commissaire, die sich durch Plünderungen unserer Länder und durch die schamlosesten Erpressungen bereichert haben, habt Ihr so viel gelitten, unglückliches Volk!
Oft haben wir den Frieden angeboten; wir würden ihn durch grosse Opfer erkauft haben. Er wurde aber entweder durch Hochmuth oder durch zweideutige und treulose Antworten verworfen, welch nichts als die Absicht Zeit zu gewinnen verriethen. Wir müssen ihn also mit den Waffen in der Hand auf Eurem Grund und Boden, ja selbst, wenn es sein soll, in Eurer Hauptstadt suchen. Nun wohlan! die religiöse und erhabene Tapferkeit unserer Truppen wird sie zu erobern wissen, und mit ihr unsere nationale Unabhängigkeit, sowie den Freiheit des Handels, der Meere; denn wir sind es, die für diese Freiheit kämpfen, und nicht er, Euer Herrscher, welcher im Gegentheil alle Meerhäfen, von der Vorsehung für das Wohlsein der Völker gegründet, schließen möchte.
Ich bedaure es, Euch nicht alle vom Kriege unzertrennliche Lasten und Uebel ersparen zu können. Ich werde Alles thun, was von mir abhängt, um die Bürde derselben zu erleichtern. Wir verachten es, Euch die Verwüstungen, welche von Euren Heeren in unnseren Ländern angerichtet worden, zu vergelten und dafür Rache zu nehmen. Wir führen den Krieg nur gegen diejenigen, die ihn so gerne verewigen möchten. Die verhasstesten Eurer Abgaben, die droits réunis, die gabelle, die droits d’enregistrements habe ich aufgehoben. Vermöchte ich nur, namentlich für Euch brave Lothringer, die gute, alte Zeit wieder zurückführen zu können, deren Eure Vorfahren unter der milden und väterlichen Regierung Eurer alten Herzoge genossen! Doch Gott wird uns alle schon helfen!«
Quellen:
[ 1] Varnhagen von Ense, Fürst Blücher von Wahlstatt, Wolfenbüttel 2016 (Nachdruck der Originalausgabe von 1912), S. 194
[1a] Dreier, Bruno, Mit Blücher bei Kaub über den Rhein, Kaub 2016, S. 22f
[ 2] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 195
[ 3] Wigger, Friedrich, Feldmarschall Fürst Blücher von Wahlstatt, Schwerin 1892, S. 181
[ 4] ebd. S. 310
[ 5] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 203
[ 6] Gneisenau/Marston, The Life and Campaigns of Field-Marshal Prince Blücher of Wahlstatt, London 1815, S. 399
[6a] Dreier, Bruno, a.a.O., S. 22f
[ 7] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 201f
[7a] Dreier, Bruno, a.a.O. S. 34f
[ 8] ebd, S. 36
[8a] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 199f
[ 9] Gneisenau/Marston, a.a.O., S. 307ff
[10] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 209
[11] ebd. S. 205f
[12] Wigger, Friedrich, a.a.O., S. 184f
[13] Arndt, Ernst Moritz, Der Rhein Deutschlands Strom aber nicht Deutschlands Grenze, Dresden 1921, S. 20
[14] Gneisenau/Marston, a.a.O., S. 315
[15] ebd. S. 319
[16] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 212
[17] Wigger, Friedrich, a.a.O., S. 186f
[18] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 217
[19] ebd. S. 220ff
[20] Gneisenau/Marston, a.a.O., S. 322ff
[21] Gneisenau/Marston, a.a.O., S. 333ff
[22] Varnhagen von Ense, a.a.O., S. 226f
[23] ebd. S. 232
[24] ebd. S. 233
[25] Bieske, Carl Ludwig, Der Feldmarschall Fürst Gebhard Leberecht Blücher von Wahlstatt, Berlin 1862, S. 21
[26] Gneisenau/Marston, a.a.O., S. 342
[27] Borkowsky, Ernst, a.a.O., S. 311