Bülow reklamierte für das Deutsche Reich einen Platz an der Sonne. Diesen Platz hatte Friedrich Alfred Krupp in Capri gefunden. Friedrich Alfred Krupp leitete in dritter Generation die Krupp-Werke. Er verdoppelte die Mitarbeiterzahl auf 30 000 Mann und steigerte den Gewinn seines Unternehmens um das Zweieinhalbfache.
Im Jahre 1902 sollte eine neue Flottenvorlage im Parlament erörtert werden. Die SPD läßt sich von ihren neapolitanischen Genossen die Instrumente zu einer Rufmordkampagne liefern, informiert im Parteiorgan Vorwärts die aufgeklärte Arbeiterschaft über die homosexuellen Orgien Krupps auf Capri und erklärt ihren Abscheu – vor einer politisch nicht korrekten Homosexualität. Krupp hatte die Germania-Werft in Kiel gekauft.
Gewiß hätte man Krupp auch vorwerfen können, die Lustknaben für ihre Dienstleistung entlohnt zu haben, doch dies war nicht strafbar. Strafbar war nach § 175 die Homosexualität. Jetzt hatte das Wissenschaftlich humanistische Kommitee (WhK) eine Initiative zur Abschaffung des § 175 gestartet. Die wurde von der SPD nicht unterstützt, sondern von einigen Sozialdemokraten, die darauf Wert legten, als Einzelperson die Initiative zu befürworten und nicht als Parteimitglied. Somit konnte der homophobe Wähler der SPD weiterhin ruhigen Gewissens seine Stimme für die Partei abgeben.
Das war schlau. Überschlau wurde die SPD aber durch ihre besondere Klassentheorie. Homosexuelle mit Geld sind dekadent, Boten der alten morschen Gesellschaft, die deshalb dem Zusammenbruch geweiht sei und Leute ohne Geld hätten die bessere Moral – was sich nach dem Zusammenbruch der „Arbeiter- und Bauernstaaten“ dann doch nicht bewahrheitete.
Neben dem Vorwärts empörten sich weitere Presseorgane über die unmoralischen Verhältnisse in dieser Welt. Daß Kaiser Wilhelm II. sich oft und gerne bei den Krupps zeigte, mochte ein weiteres Motiv für die SPD gewesen sein, einen Homosexuellen zu denunzieren.
Am 22.10.1902, eine Wochen nach dem Start der Hetzkampagne, starb Friedrich Alfred Krupp im Alter von 48 Jahren. Die Ursache seines Todes wurde nicht bekannt gegeben. Friedrich Alfred Krupp war Mitglied des Herrenhauses und des preußischen Staatsrathes.
Der Kaiser telegraphierte an das Direktorium der Firma Krupp:
Die Nachricht von dem so unerwartet eingetretenen Hinscheiden Ihres Chefs hat mich tief erschüttert. Die Vorsehung hatte Geheimrath Krupp an die Spitze eines Unternehmens gestellt, das weit über die Grenzen des Vaterlandes universelle Bedeutung gewonnen hat. Dies Werk, wie es von seinem genialen Vater ihm überkommen war, nicht nur zu erhalten, sondern, seinem Weltruf entsprechend, weiter auszubilden, sah er als die Aufgabe seines Lebens an. Sein Name ist mit der Entwicklung der Eisenindustrie, des gesammten Waffenwesens, der modernen Befestigung, wie des Schiffsbaues auf das Innigste verknüpft. In der Fürsorge für seine Angestellten war er unübertroffen und vorbildlich. So empfinde ich, dem Verewigten in patriotischer Gesinnung auf das Treueste ergeben, mit der Beamtenschaft und den Tausenden seiner Arbeiter seinen Verlust auf das Schwerste.
Wilhelm I. R.
Die Freiburger Zeitung vom 24.10.1902:
„Aber selbst, so urtheilt die Tägl. R., wenn der Vorwärts Grund zu seinen Anklagen gehabt hätte, welches Recht und welche ausreichende Rechtfertigung vor seinem eigenen Gewissen hatte er, diese angebliche Verfehlung auf dem Markpranger anzuschlagen, diesen Skandal anzuzetteln, der - selbst die thatsächliche Unterlage als bestehend angenommen - nur einen Menschen vernichten, nur ein großes deutsches Unternehmen schädigen, nur Haß und Unlauterkeit säen und jedenfalls keinem Menschen und Sache nützen könnte? Politische Gründe hätten es jedenfalls nicht sein dürfen; denn Krupp war kein politischer Mann, war kein Arbeiterfeind, ja nicht einmal ein Scharfmacher, nur einfach der reichste und größte Arbeitgeber, der über den bestbesoldeten Arbeiterstamm verfügte und in Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen vorbildlich wirkte.“
Zur Beisetzung Krupps am 26. Oktober reiste Kaiser Wilhelm II. nach Essen, den Trauerzug persönlich anzuführen. Vor seiner Abreise am 27. drückte er, in einer an das Direktorium und Arbeiterschaft gerichteten Rede, seinen Abscheu vor dem an Krupp begangenen Rufmord aus.
Quellen:
Mickler, Anne, Der Krupp-Skandal und die Rolle der SPD, Saarbrücken 2008
Freiburger Zeitung vom 24.10.1902
Friedrich Alfred Krupp auf www.historischesportal.essen.de Stand 30.05.2020
Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 279 vom 28.10.1902