König Friedrich Wilhelm IV. erbte von seinem Vater zwei nicht abgeschlossene Projekte: Die Landesverfassung und die Kirchenverfassung. Landes- und Kirchenverfassung verschmolzen ihm zu einem einzigen Gedanken und wäre es kein König gewesen, man hätte ihn als Revolutionär erschossen. Die aktuelle Geschichtsschreibung bestattet König Friedrich Wilhelm IV. all zu gern in dem Traumland Arkadien schöngeistig verklärt mit Kohlestift und Skizzenbuch, wenn auch Schäferspielen abgeneigt.
Mit dem Gedanken zur Etablierung einer Verfassung für die beiden großen evangelischen Kirchen realisierte der preußische König deren bedauernswerten Ist-Zustand in Zeiten ultramontan-katholischer Rührseligkeiten. An ein Wunder glaubend, begann er seine Pläne tatsächlich umzusetzen.
Nach Ansicht Kaiser Wilhelm II. war Friedrich Wilhelm IV. »begabt mit hohem Sinn für alles Ideale und Schöne, voller Begeisterung für die Werke der Antike, eine sonnig, gewinnende Persönlichkeit, temperamentvoll mit einer guten Dosis von Humor, die stets die Komik einer Situation zu erfassen verstand… eine tief religiös angelegte Natur, die es mit ihren Pflichten als Landesvater und Herrscher ernst nahm. … Aber er verlor sich dabei oft in die Wolken und war nicht nüchterner Realist genug, um die festen Grundlagen der Praxis nicht zuweilen zu verlassen, statt mit beiden Füßen auf ihnen zu bleiben… [1].«
In diesem Sinne schrieb der junge Friedrich Wilhelm an seinen Freund Bunsen:
»Ich glaube, wie ich mein Credo [Anm. d. Authors: Rückbesinnung auf die apostolische Kirche] glaube; daß jede, auch die corrupteste Kirchenverfassung von segensreicher Wirkung sein muß, wenn Gottesfurcht und Erkenntnis allgemein sind [2].«
Er trieb die Pläne zu ihrer Verwirklichung bis zum Jahre 1848 voran. Mit der bürgerlichen Revolution verkamen die christlichen Ideale und wurden Mittel zum Zweck; zur condition sine qua non der wirtschaftliche Profit. Das Band – sofern noch vorhanden – das Herrscher und Volk in gemeinsamer Religion vereinte, wurde aufgelöst.
Le Bon (*1841 †1931) sah in in der Gesellschaft nicht den Träger der Kultur sondern, die Gesellschaft zur Masse degradierend, den Zerstörer der Kultur [3] und der revolutionsgeschädigte Franzose landete 1895 mit „Psychologie der Massen“ einen ersten Beitrag zur wissenschaftlich fundierten Schurigelung des Volkes.
Mit der „Re-volution“ 1848 war Friedrich Wilhelm IV. Mission beendet, wenn auch nicht ganz; 300 neue Kirchen, steinerne Mahnmale eines hären Ideals, ließ er errichten und den Sonntag widmete er zum Tag des Herrn. Letzteres erregte den Zorn der freien Wirtschaft [4].
Der griechische Denker Platon schuf das Höhlengleichnis: Wir sehen nur die durch das Licht geworfenen Schatten der Realität. Das Licht selbst blendet uns.
Aufgegriffen hat das Augustinus Conf. VII. 9: Der menschliche Geist zeugt von dem Licht, ist aber nicht das Licht. Das wahre Licht ist das Wort, welches Gott ist, und Alles geschaffen hat.
Friedrich Wilhelm IV.: »Allein in L. VIII.C.X. der augustinischen Confession ist eine Stelle,… wo er von dem Ringen nach der Erkenntniß des unwandelbaren Lichtes der Gottheit redet und sagt, daß der Beistand des Herrn ihn endlich erkennen ließ, daß Sein Licht über dem Licht des eigenen Geistes sei: nicht wie das Oel über dem Wasser… sondern, sagt er weil es war über mir, weil es mir das Dasein gegeben und ich war unter ihm, weil es mich erschaffen hat [5] [6].«
»Was taten die Apostel für die äußere Ordnung der durch sie entrissenen Seelen? Sie stifteten Kirchen. …eine jede Kirche ein selbständiges Ganzes, eine Einheit, keine einer andern untergeordnet, aber keine, die gezweifelt hätte, daß sie alles eins seien in ihrem Haupte Christus. In einem Jeden eine heilige Pflege (Hierarchie), von zwei unter sich geschiedenen Aemter von den Aposteln eingesetzt. …Die beiden Aemter sind nun das des Seelenhirten. […] Zweitens das der Helfer, …dazu bestimmt, …die Werke der Barmherzigkeit, zu verwalten… [7].«
Konkret: »Statt daß nun gegenwärtig ein Königlicher Superintendent unter Königlichen Ministerium im königlichen Auftrag dem [Synodal-]Bezirk vorsteht, würde dann der zu einer Kirche umgestaltete Bezirk, von einem Bischof, von Aeltesten und Diaconen im Namen und Auftrag des Herrn und Seiner Kirche auf Erden gepflegt werden.«
»Die Bischöfe alle, lateinische, griechische, protestantische ec., sind durch ihre Stellung zur Welt und den einzelnen Staaten zu Fratzen des ursprünglich apostolischen Kirchen-Amtes geworden. Man denkt sich jetzt allgemein unter einem Bischof eine Gattung Hoch-Adliger der Kirche, einen großen Herrn, einen Oberpriester, Doctor – bewahre uns Gott in Gnaden [8].«
Ein Seelsorger sollte es sein, consistoriani im consistorium mit Pfarrer und Ältesten das Episkopat bildent, Rat unter Räten oder Licht im Lichte. Die ins Griechische übersetzte Bibel verwedete episkopos (ἐπίσκοπος Aufseher) zur Bezeichnung des Ältesten ( πρεσβὑτερς Presbyter Älterer) einer christlichen Ortsgemeinde. Immerhin brauchte die Evangelische Kirche in Deutschland bis 2017 die alten Apostel durch die Neuübersetzung der Bibel zu korrigieren.
Neben die in Verantwortung des Episkopats gesehenen Seelsorge gesellte Friedrich Wilhelm IV. das Diaconat, die Armen- und Krankenfürsorge, »von Amtswegen dienend bei Vertheilung der milden Gaben und zugleich dienend am heiligen Tische [8].« Wir dürfen annehmen, daß Friedrich Wilhelm IV. in der Lage war zu unterscheiden, ob jemand im Dienst eines Menschen stand oder im Dienst seiner Religion »Hülfe bei Austheilung der Communion« zu leisten [9].
Unzumutbar für die Betroffenen war die Vorstellung des Königs: »Unser Bischof, ist die neue Ordnung einmal im Gange, muß Diacon und Presbyter (Älteste) gewesen sein und überkommt erst sein Amt durch Handauflegung, d.h. Consecration eines oder anderer Bischöfe nach sogenannter apostolischer Succession,…« zu leisten [9]. und auf deutsch: die Aufnahme in den Kreis der Bischöfe (consecration – Gemeinschaft der Geistlichen) erfolgt über die Zuerkennung des Amtes durch einen oder mehrere anerkannte Bischöfe, womit der neue Bischof (Apostel) in die Abfolge (succession) mit den ersten Aposteln eintritt.
Die Befugnisse eines Bischofs sollten sich nach Friedrich Wilhelm IV. auf folgende Punkte beschränken:
1.) Ordination der Ältesten und Pfarrer; consecration anderer Bischöfe
2.) Confirmation
3.) die Rechte eines ordentlichen Seelsorgers
4.) das Recht zur Bestätigung und Veröffentlichung der Beschlüsse der Gemeinden.
5.) das Recht bei Neueinstellungen von Pfarrern und Diaconen ungeeignete Kandidaten abzulehnen [9].
Die Wahl des Bischofs, der Diaconen und der Pfarrer wird der Pfarrgemeinde zur Zustimmung vorgelegt.
Die Diaconie ist gegenüber der Gemeinde Rechenschaftspflichtig. Konflikte werden vom Bischof oder auf dem Kirchentag (oder Synode) entschieden [10].
Zur Gemeinde gehörten nach Ansicht des Königs nur die gläubigen Kirchgänger die ihrem Glauben durch ihr Verhalten zum Ausdruck brächten. Die Pfarrer, Ältesten und Diakone bedürfen zur Ausübung ihres Amtes der Zustimmung der Kirchen-Gemeinde. Eine Ablehnung muß begründet sein und kann sofern zwei andere Gemeinden die Ablehnung für unbegründet halten aufgehoben werden, so die Idee Friedrich Wilhelm IV.
Die Landeskirche sollte eine General-Synode und eine Provinzial-Synode über bestimmte kirchliche Angelegenheiten entscheiden. Die Synoden sollten sich aus Bischöfen, Diakonen und Laien zusammensetzen. So sollte ein Fehlverhalten von Pfarrern etc. in der Provinzial-Synode verhandelt werden, generelle Glaubensfragen in der General-Synode [11].
Der König selbst habe die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung der Kirche zur Aufgabe. Er muß Schutzherr, Schirmvoigt und Friedensrichter der Landeskirche sein [12]. Den Bischöfen sollten Consistorialbehörden zugeordnet werden, denen der Bischof als Metropolitan vorstehen sollte. Die Verlagerung von Zuständigkeiten in die Metropole (Bisthümer) würde den auf Landesebene ausgetragenen Rivalitäten der katholischen und evangelischen Kirche sowie Bisthümern untereinander den Boden entziehen und die Eigenverantwortlichkeit der Bisthümer fördern. Der Bischof hätte neben dem geistlichen Amt, als Metropol zudem ein politisches [13] [14].
All das gedachte der König einer Synode zur Diskussion zu stellen, und in die Gemeinden zu tragen, um die auf Zustimmung treffenden Vorschläge festzuschreiben wobei schrittweise eine jede folgende Synode zur Vervollkommung der Kirchenverfassung vorgesehen war, die endlich durch eine Schluß-Synode gebilligt werden sollte.
Das große Ziel des Königs blieb die Verschmelzung der christlichen Religionen durch gegenseitige Anerkennung ihrer Bischöfe (consecration). Das im Allgemeine Landrecht verankerte Recht eines Bürgers auf Glaubensfreiheit, „ohne Kränkung seiner bürgerlichen Ehre und ohne Schaden für Amt, Aussichten und Auszeichnungen“ sich als „Rationalisten, Pantheisten, Denkgläubige, Philister oder wie sie wollen [15]“ zu vereinen sollte gewahrt bleiben – nicht in jedem Fall und ganz bestimmt nicht an den Universitäten.
Die um ihre Pfründe stärker als um die Freiheit der Forschung besorgten Professoren schrien auf als der Staat in die Personalpolitik der Universitäten eingriff: kirchenkritische Gelehrte wurden durch kirchenfreundliche ersetzt [16].
Auch die Presbyterien in Rheinland und Westfalen waren dem König ein Dorn im Auge. Ihre eigenständige Vorstellung kirchlicher Selbstverwaltung und der Seelsorge ’schändeten‘ das evangelische Priestertum [17].
Auf Pfingsten 1846 berief Friedrich Wilhelm IV. die erste evangelische Generalsynode. Neben der Kirchenverfassung gab es weitere Themen über die sich die Synode zerstreiten konnte. Drei Monate währte der Disput und wurde am 29. August 1846 ohne Ergebnis vertagt. Lediglich die Idee eines Oberkonsistoriums, das als Schnittstelle zur katholischen Kirche gedacht war, wurde eingerichtet und durch die Revolution 1848 hinweg gerafft [18]
Quellen:
[ 1] Wilhelm II., Meine Vorfahren, Berlin 1929, S. 183
[ 2] Ranke, Leopold v. (Hg.), Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelm IV. mit Bunsen, Leipzig 1873, S. 51f
[ 3] Le Bon, Gustave Psychologie der Massen, Rottenburg 2021, S. 21
[ 4] Herre, Franz, Friedrich Wilhelm IV., Gernsbach 2007, S. 80
[ 5] Ranke, a.a.O., S. 61
[ 6] Herre, a.a.O., S. 81
[ 7] Ranke, a.a.O., S. 51f
[ 8] ebd.: S. 54f
[ 9] ebd.: S. 57
[10] ebd.: S. 58
[11] ebd.: S. 59
[12] Herre, a.a.O., S. 81
[13] Ranke, a.a.O., S. 62f
[14] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Fünfter Teil, Leipzig 1927, S. 354
[15] ebd.: S. 71
[16] Herre, a.a.O., S. 82
[17] Treitschke, a.a.O., S. 355
[18] ebd., S. 361