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Hydra - Die Wirren bei Kriegsende.

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Infolge der Französischen Revolution und von Napoleons Auf- und Abstieg entwickelten sich in Deutschland zwei das 19. Jahrhundert bestimmende politische Richtungen:

1. Preußen ordnete seine Politik dem Staatsgedanken unter und erhob die Erhaltung und Entwicklung des Staates zum obersten Prinzip. Es stützte sich auf seine Ethik, die Bildung und Loyalität seiner Bürger und auf seine Armee. Ein Ideal das in Karlsbad seinen Bankrott erleben sollte.
2. Franz I. Kaiser von Österreich erhob die Erhaltung und Ausweitung seiner Macht zum obersten Prinzip und stützte sich dabei auf den Papst.

Getrieben von edlen Motiven, Profilneurosen, Verlustängsten doch weniger vom Hunger bewegten sich in dem so vorgegebenen Rahmen politische Vereinigungen, gedungen oder nicht, von Gott berufen oder selbst ermächtigt.

Im Krieg gegen Napoleon gerieten die Studenten an den deutschen Universiäten ins Zentrum der Geschichte. Ihr Beitrag zur Verteidigung des Landes wurde eingefordert.

Die Burschenschaft.

1810 arbeiteten im Auftrag des geheimen „Deutschen Bundes“ Friedrich Friesen und Friedrich Ludwig Jahn Pläne zur Gründung einer deutschen Burschenschaft aus. Ähnlich gesinnte Studentenverbindungen entstanden auf Anregung Ernst Moritz Arndt in Gießen, Heidelberg und Marburg. Der 1814 im Rhein-Main-Gebiet von Wilhelm Snell und Karl Hofmann gegründete Geheimbund der „Deutschen Gesellschaften“ strebte, unterstützt vom preußischen Staatskanzler Hardenberg, eine Einigung Deutschlands mit freiheitlicher Verfassung unter preußischer Führung an.

In Jena gingen am 12. Juni 1815 die Landsmannschaften in der so gegründeten Burschenschaft (Urburschenschaft) auf. Die Burschenschaft trat an mit dem Vorsatz: »Sichtbar muß auf den Universitäten das Volksgefühl in einer eigenen Bildung hervortreten, damit wir uns stets des gemeinsamen Vaterlandes erinnern... [ 1]«.

Als Farben übernahm sie - gemäß des Turnvaters Rat - die Farben der Lützowschen Jäger: Schwarz Rot Gold [ 2].

Radikaler gesinnt waren die Mitglieder der, aus der „Deutschen Gesellschaft“ hervorgegangenen, Gießener Schwarzen [ 3]:


Brüder in Gold und Seid,
Brüder im Bauernkleid,
Reicht euch die Hand!
Allen ruft Deutschlands Not,
Allen das Herren Gebot.
Schlagt eure Plagen tot,
Rettet das Land!

 

Ein begeisterter Anhänger Jahns, Robert Wesselhöft, ein Mitgründer der Burschenschaft in Jena, lud am 11. August 1817 gemeinsam mit Scheidler, Horn und Riemann (den führenden Mitgliedern der Jenaischen Burschenschaft) zum Fest auf die Wartburg [ 4]. Zur Feier des 300. Jahrestages der Reformation und der Leipziger Völkerschlacht ging ein Rundschreiben an die 13 protestantischen Universitäten.

Es kamen 468 Studenten. Jede Universität hatte zumindest einen Abgesandten geschickt. Zudem kam ein Vertreter der Studenten der Freiberger Bergakademie und der Forstakademie Tharandt.

Die Wartburg.
 
Die Wartburg.

Der Student Riemann legte wenige Monate später ein Dokument vor, in dem die Grundsätze und Beschlüsse des Wartburgfestes festgehalten sind [ 5].

»Ein Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und bleiben.«
Gewarnt wurde vor einem Bruderkrieg zwischen Nord- und Süddeutschland.
»Der Wille des Fürsten ist nicht Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll Wille des Fürsten sein.«
»Die Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und Verabscheuungswürdigste. Der Mensch ist nur frei, wenn er auch die Mittel hat, sich selbst nach eigenen Zwecken zu bestimmen.«

Man forderte Rede und Pressefreiheit und erachtete es als »dringende Pflicht die Wahrheit laut zu sagen.«
Deutsche Sitten wollte man einführen, was wohl durch die Entfremdung der Menschen, zu den sich von ihnen, in ihrem, lange Zeit gepflegten, französischen Gehabe abgrenzenden Fürsten, wie auch durch das französische Regime in Deutschland verursacht worden war.

Der auf dem Wartburgfest stattfindende Gedankenaustausch führte zum Jenaer Burschentag vom 10.10.1818 auf dem die Allgemeine Deutsche Burschenschaft gegründet wurde. Auch ihre Farben waren Schwarz Rot Gold, zusätzlich noch versehen mit einem Eichenzweig. Ihr Wahlspruch [ 6]:

»Ehre, Freiheit, Vaterland.«

Die Staatspolizei.

Der Krieg gegen Napoleon war gewonnen und Kaiser Franz I. von Österreich war bestrebt, die alte Dominanz seines Hauses wiederherzustellen. Preußen, dessen Staatsgebiet in den vergangenen Jahren über ganz Mitteleuropa hin- und herwaberte, hatte größte Mühe den Staat zu reorganisieren. Im katholischen Rheinland begehrte der von Napoleon entmündigte Adel auf, während die gewerbetreibenden Bürger auf ihren Rechten beharrten.

Die katholische Kirche war noch zu schwach ihren Einfluß gegen das protestantische Preußen ins Feld zu führen.

Mit dem Beginn des Wiener Kongresses begann die Hochphase des Spitzelwesens. Allen voran der österreichische Staatskanzler (1810-1848) Clemens Wenzel Lothar Fürst v. Metternich, der bereits im Herbst 1816 Pläne ausarbeiten ließ, im Rahmen der regelmäßig tagenden Pariser Botschafterkonferenz, ein ganz Europa umfassendes Bespitzelungssystem zu etablieren. Noch konnte dieser Plan, in diesem Fall von dem Leiter der Botschafterkonferenzen, dem Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen in Frankreich, dem späteren brit. Premierminister Arthur Wellesley Herzog von Wellington, abgelehnt werden [ 7].

Was Preußen anbelangt, hatte das um seine Bequemlichkeit fürchtende, reaktionäre Beamtentum die Verfassungsbestrebungen sabotiert.

Vgl. z.B. den Brief vom 8. Januar 1818 des Freiherrn vom Stein an Arndt.

Der Unmut über die ausbleibende Verfassung wurde durch die Proteste des rheinischen Bürgertums verstärkt. Das rheinische Bürgertum hatte von der liberalen Gesetzgebung Napoleons besonders profitiert [ 8] und sah seine Geschäfte nun durch ein desaströses, den freien Warenverkehr innerhalb Preußens beeinträchtigendes Steuer- und Zollsystem bedroht. Preußen die, zur Abhilfe notwendige, Zeit einzuräumen, fehlte ihm die Geduld.

Reformen sollten nun nicht mehr mit dem König durchgeführt werden, sondern gegen ihn [ 9], was den König von Preußen nicht daran hindern sollte, mit der Errichtung seines Zollsystems den Grundstein des Deutschen Reiches zu legen.

Friedrich Wilhelm III. beauftragte Wilhelm v. Humboldt mit der Ausarbeitung der Gesetze zur Beseitigung der Binnenzölle (Zollgesetz vom 11. Juni 1816) und zur Vereinfachung des Steuerrechts (26. Mai 1818) [10].

Die Erarbeitung der Verfassung hatte der König dem nahezu blinden Staatskanzler v. Hardenberg übertragen.

Das Tätigkeitsfeld der offiziell 1817 aufgehobenen höheren und geheimen Polizei wurde stillschweigend von Fürst Wilhelm Ludwig von Sayn-Wittgenstein erweitert [11].

Innenminister Wittgenstein und sein Polizeipräsident Kamptz nutzten, die mit dem Sieg über Napoleon an sich überflüssige gewordene, geheime Polizei Daten zu sammeln, die letztlich im Dienste des Kaisers von Österreich gegen das politisch aufgeklärte Preußen eingesetzt werden sollten.
Besonders intensiv wurde das Wartburgfest bespitzelt [12].

Friedrich Wilhelm III. ließ sich von den Räuberpistolen Wittgensteins martern. Die den König umgebende Hofkamarilla - namentlich der Hugenotte Ancillon, die Gräfin Voß und der Herzog Karl von Mecklenburg - tat ihr Bestes Friedrich Wilhelms Vertrauen in die Politik Hardenbergs und Humboldts zu erschüttern [13] [14].

Der Aachener Kongreß vom 29. 9. bis 21. 11. 1818.

Neben der Regelungen der von Frankreich zu leistenden Reparationszahlungen an die Vier Mächte, diente der Aachener Kongreß Metternich dazu, Rußland und Preußen, als Förderer der europäischen Verfassungsbewegung, auszuschalten. Schon im Vorfeld der Konferenz sorgte er mithilfe seines Schreiberlings Gentz und der eigens hierzu gegründeten „Wiener Jahrbücher der Literatur“ dafür, daß die Verfassungsbewegung mit dem Terror der französischen Revolution gleichgesetzt wurde [15].

Mehr hierzu unter: Der Aachener Kongreß.

Die Ermordung August von Kotzebues.

In Preußen erlangte die Ausarbeitung der Verfassung sein Endstadium. Der russische Kaiser gedachte nach seiner Abreise aus Aachen Jena einen Besuch abzustatten. Die Gießener Schwarzen radikalisierten sich unter dem Einfluß der Gebrüder Adolf, Karl und Paul Follen, die den von Lafayettes Comité Directeur beherrschten, französischen Geheimbünden nahe standen [16].

Treitschke über deren Gesinnung:

„Dem Gerechten gilt kein Gesetz, hieß es kurzab. Was die Vernunft für wahr erkennt, muß durch den sittlichen Willen verwirklicht werden, sofort, unbedingt, ohne jede Rücksicht, bis zur Vernichtung aller Andersdenkenden; von einer Collision der Pflichten kann hier nicht gesprochen werden, da die Verwirklichung der Vernunft eine sittliche Nothwendigkeit ist. Dieser Satz wurde schlechtweg als der Grundsatz bezeichnet, und nach ihm nannten sich Follens Vertraute die Unbedingten [17].“

Jesus, als Märtyrer seiner Ueberzeugungen, war der Held der Unbedingten und ihr Bundeslied mahnte dazu: »Ein Christus sollst Du werden!«

Karl Sand, Student der Theologie, war einer der Unbedingten die in dem kleinen, konspirativen Kreis des nach Jena gewechselten Karl Follen, über die Ermordung des Kaiser Alexanders von Rußland berieten. Der Unstetigkeit des Kaisers ist es zu verdanken, daß der in Weimar lebende russische Legationsrath Kotzebue ins Visier der Unbedingten geriet.

August Friedrich Ferdinand von Kotzebue
wurde am 3.5.1761 in Weimar geboren und am 23.3.1819 in Mannheim ermordet. Er war Advokat, Schriftsteller, Theaterdirektor und Mitglied der Freimarerloge der 3 Streithämmer. Zu seiner Zeit war er der am meist gespielte Bühnenschriftsteller.
 
1781 aus Weimar verwiesen ging er nach Rußland, arbeitete dort als Privatsekretär des Generalingenieurs für die Moskauer Verkehrswege, wurde 1782 Direktor des deutschen Hoftheaters Friedrich Wilhelm von Bauer in St. Petersburg und 1783 wurde er zum Kabinettssekretär Katharinas II. ernannt. Die Stelle konnte er jedoch nicht annehmen. Im selben Jahr ging er nach Reval, wurde am 7.11.1783 Assessor am Gerichtshof der bürgerlichen Rechtssachen, zwei Jahre später Präsident des Gouvernementsmagistrats der bürgerlichen Sachen.
1798 wurde er Hoftheaterdichter und Intendant des Hoftheaters in Wien und kehrte 1800 mit einer lebenslangen Pension und bei Beibehaltung seiner Stelle als Hoftheaterdichter mit Zwischenstation in Weimar nach Rußland zurück. Beim Grenzübertritt wurde Kotzebue am 24.4. verhaftet, nach Kurgan (Sibirien) verbannt und am 15.6. begnadigt.
Am 20.8.1800 wurde er Hofrat und Direktor des Kaiserlichen deutschen Theaters in St. Petersburg. Ein Jahr später kehrte er nach Deutschland zurück und wurde 1803 Mitglied der Kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften. Weitere akademische Würden folgten.
1813 wechselte Kotzebue als Staatsrat in den russischen Staatsdienst und wurde für einige Monate General v. Wittgenstein attachiert. Anschließend übernahm er in Königsberg bis 1815 die Stelle als Generalkonsul und Direktor des Königsberger Theaters.
1817 wurde er von Kaiser Alexander I. nach Deutschland entsandt, um ihm über Politik, Statistik, Finanzen, Kriegskunst, den öffentlichen Unterricht etc. zu berichten [18.1].

Kotzebues untertänige Schmeicheleien gegenüber dem russischen Kaiser, dessen Vorstellungen eines aufgeklärten Absolutismus er teilte, sein Eintreten für das preußische Gesetz von 1812, das den Juden, mit Ausnahme der Zulassung zu den höchsten Staatsämtern, alle staatsbürgerlichen Rechte gewährte, verbunden mit der Boshaftigkeit und Hähme mit der er den jugendlichen Idealismus der Studenten bedachte, machten ihn zu einem geeigneten Haßobjekt [18.2].

Am 23. März 1819 ermordet Sand Kotzebue. Am 25. März schreibt Wilhelm v. Humboldt seiner Frau von einem Zettel, den man in der Tasche des Mörders gefunden habe. Darauf würde zu lesen gewesen sein: »Todesurteil, vollzogen am 23. März 1819 an August Kotzebue [19]

Am 29. März 1819 schrieb Humboldt: »Das sogenannte Todesurteil, das man bei ihm [Sand] gefunden hat, ist nicht wie ich neulich schrieb, in wenigen Zeilen abgefaßt und nicht von Sands Hand, sondern ein langes, wie man sagt, mit vielem revolutionärem Bombast abgefaßtes Patent, sehr schön und nicht von Sand geschrieben [20]

Der größte Teil der Bevölkerung hatte andere Sorgen als sich mit dem Mord an Kotzebue aufzuhalten. Nicht aber die Presse und andere Prediger. Der Irrenarzt Grohmann rechtfertigte Sands Tat in Nasses medizinischer Zeitschrift und der Korektor in Stralsund hielt einen Vortrag über die Tyrannenmorde der Hellenen.
Joseph Görres gar vermerkt noch bevor er im (katholischen) ultramontanen Lager seine Zuflucht suchte: »…unter den vielen geheimen Verschwörungen übersieht man die eine große, die murrend an jedem Herde sitzt, auf Märkten und Straßen sich laut ausspricht. [21.1] [21.2]

Der Kaiser von Rußland empörte sich wohl nicht ohne Anlaß über die mit der Hysterie einhergehenden Russenfeindlichkeit [22].

Friedrich von Gentz erhielt kurz nach Kotzebues Ermordung einen Drohbrief. Er sei ein Verräter, der die Freiheit des Vaterlandes untergraben habe und deshalb zum Tode verurteilt. Doch ihm versage man die Ehre durch einen Dolch zu sterben. Er sollte durch Gift gerichtet werden.

Zweifelsfrei handelte es sich bei dem Drohbrief um einen Scherz, der allerdings von jemandem ersonnen wurde, der die Verwicklungen, in denen sich Gentz zu dieser Zeit befand, kannte. Man kann annehmen, daß nicht nur der Autor des Drohbriefes die Wiener Politik durchschaute.

Gentz war der von England bezahlte Premier Secretaire au Congres de Vienne [23]. Er ließ den Präsidenten der obersten Polizei und Zensurstelle in Wien Graf Josef von Sedlnitzky die Statuten und Protokolle der Burschenschaft drucken und geheim überall in Deutschland verteilen, um den Anschein zu erwecken, als stünden die Jakobiner bereit, dem Adel die Köpfe abzuschlagen. Anzunehmen, daß die kleine Gruppe radikalisierter Studenten, über das Vermögen verfügte, eine Revolution zu veranstalten, war und ist absurd [24].

Ein Schluß, zu dem auch der Abschlußbericht der Central-Untersuchungs-Commission zur Untersuchung der demagogischen Umtriebe – wenn auch erst 1831 – kommen sollte [25].

Ancillon, Wiens Walzer in Berlin.

Fürst v. Metternich versuchte die von ihm ausgestreuten Gerüchte über eine Verschwörungen und eines beabsichtigten, gewaltsamen Umstürzes durch den Mord an Kotzebue zu bekräftigen [26]. Metternich: »Hier wird wahres Uebel auch einiges Gute erzeugen, weil der arme Kotzebue nun einmal als ein argumentum ad hominem dasteht, welches selbst der liberale Herzog von Weimar nicht zu vertheidigen vermag. Meine Sorge geht dahin, der Sache die beste Folge zu geben, die mögliche Partie aus ihr zu ziehen, und in dieser Sorge werde ich nicht lau vorgehen [27]

Die auf dem Aachener Kongreß andiskutierten Maßnahmen sollten erst auf der vom 6. bis 31 Aug. 1819 in Karlsbad tagenden Konferenz ihre konkrete Ausgestaltung erfahren (Universitätsgesetz, Pressegesetz, Untersuchungsgesetz, Exekutionsordnung) und am 20. Sept. 1819 vom Bundestag gebilligt werden.

Rußland und England zögerten nicht ihre Bedenken anläßlich der Karlsbader Beschlüsse zu äußern. Auch aus Frankreich tönt Kritik an den Karlsbadener Beschlüssen und Gentz versucht sich an einer Widerlegung. Varnhagen kommentiert:
» ...sein Aufsatz ist hochfahrend und leer; sehr armselig und schlecht für die Lesewelt berechnet, die sich so leicht nicht mit hohlen Redensarten abfinden läßt [28]

Die bislang in Preußen brachliegende Paarung aus Dummheit mit Dreistigkeit wird obergärig: »Der Adel soll alles sein, zwischen Volk und König stehen, unabhängig von diesem und herrschend gegen jenes [29] Graf Goltz schrieb aus Paris von einem drohenden Umsturz, der französische König wurde von der Abgeordnetenkammer ausgepfiffen. In Preußen drängen die zu kurz gekommenen Offiziere zum Krieg [30].

Die „unabhängige“ preußische Partei Fürst Wilhelm Ludwig von Sayn-Wittgenstein samt Jean Pierre Frédéric Ancillon (Freund des Grafen Karl Johann Clam-Martinic, Chef der Militärsection im österreichischen Staatsrath) spalteten die preußische Regierung [31].

Hardenberg notierte:

»Ancillons Gutachten über die Karlsbader Sache.
Sehr schlimm. Es ist die höchste Zeit.
Entweder oder.
Die Beamten, viele Offiziere, Lehranstalten angesteckt.
Oberpräsident Merckel und Schön.
Die Jugend wird verdorben...
...In der größten Gefahr stand ich allein mit dem königlichen Vertrauen. Nur weil ich allein konnte ich etwas leisten. Jetzt wieder. Der Kriegsminister ist fort.
Ist viel, hilft aber nichts, wenn Beyme und Humboldt zusammenbleiben.
B. und H. müssen dispensirt werden [32]

Auch Preußen stimmte den Karlsbader Beschlüssen zu. Humboldt (zu dieser Zeit Minister für ständische Angelegenheiten) und Boyen (Kriegsminister), Großkanzler Beyme und General Grolmann traten dem mit dem Argument – der König von Preußen und mithin Preußen trete bei Zustimmung einen Teil seiner Souveränität ab – entgegen und wurden daraufhin entlassen. Hardenberg paßte sich, im Bestreben an der Macht zu überwintern, dem geänderten Klima an, um nach einer Stabilisierung der Lage seinen Verfassungsvorschlag verwirklichen zu können. Dazu kam es nicht. Hardenberg starb im November 1822. Ein gutes halbes Jahr später am 5. Juni 1823 erließ der König das „Allgemeine Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände“. Damit hatte in den Provinzialständen, die selbst über keine nennenswerten Rechte verfügten, der Adel das Sagen [33]?

Auch die klügeren deutschen Fürsten, wie etwa in Sachsen-Weimar, mußten sich, angesichts der Drohung, im Fall einer Weigerung, Bundestruppen auf sich zu ziehen, dem System Metternich beugen [34].

Der Ungeist des Metternichschen Systems durchzieht

  • die Schlußakte des Wiener Kongresses: Die Schlußakte begündete und regelte das Zusammenwirken der deutschen Staaten im Deutschen Bund. Im Falle einer „inneren Bedrohung“ (durch Demokraten) konnte aufgrund einer Bundesexekution gegen einen Teilstaat militärisch vorgegangen werden, wenn dieser nicht gewillt oder in der Lage war, gegen diese Bedrohung vorzugehen. Würtemberg war einer der Staaten dessen Politik ständig Gefahr lief durch eine Bundesexekution korrigiert zu werden. So gedachte Österreich nach Artikel 59 der Wiener Schlußakte Preußen zu einem militärischem Eingreifen in Würtemberg zu nötigen, als Würtemberg die Auflösung der Central-Untersuchungs-Commission (CUC) betrieb. Preußen lehnte diese ‚Einladung‘ ab [35.1].
  • die Heilige Allianz wurde zum Bündnis der Aritokraten gegen alles und jeden der die bestehenden Verhältnisse störte. So griff Österreich gemeinsam mit Rußland militärisch in Norditalien ein, um auch den Italienern jede Hoffnung auf ein geeintes und freies Italien zu nehmen [36].
  • die Quadruppel Allianz: diente der Einbindung Frankreichs
  • die Karlsbader Beschlüsse: Durch Umdeutung des Art. 13 der Bundes-Akte wird den, in einigen deutschen Staaten, bereits bestehenden Ansätzen einer parlamentarischen Volksvertretung die Grundlage entzogen [35.2]. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Unterdrückung der Pressefreiheit sowie die Bespitzelung und Verfolgung besonders an den Hochschulen als eine vorbeugende wie einschüchternde Maßnahme dar.
  • ihr im Deutschen Bund durch die Central-Untersuchungs-Commission eine selbst von der Bundesversammlung nicht zu kontrollierende Einrichtung zu schaffen. Die CUC hatte das Recht von einem jeden deutschen Staat die von ihr gewünschten Informationen einzufordern.

Graf Hartig in „Genesis der Revolution in Österreich“: »Man hat es gemeinhin das Metternichsche genannt, allein nichts ist verfehlter als diese Meinung. Der schmiegsame Staatskanzler mag es weiter ausgebildet haben, aber in seinen großen Zügen finden wir es schon, als er nach dem Wiener Frieden den Ballplatz bezog [37]

Der Polizeiminister Graf Sedlinitzky: »Es [das System] ist keineswegs neu. Seine Majestät hatten es jederzeit. Nur waren Dieselben jetzt so glücklich, die Organe zu finden, die es rein wiedergeben[38]

Das Ende der Epoche.

Humboldt sah voraus, daß die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse unweigerlich zur Revolution führen müsse. Die Burschenschaften wurden zerschlagen, gründeten Tarngesellschaften und geheime Organisationen. Studenten, Professoren wurden verhaftet. Metternich legte der Verfolgung Andersdenkender ein Gewicht bei, das unfreiwillig die Verbreitung der Idee: »Das ganze Deutschland soll es sein« beförderte.

Preußen verfuhr bei Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse in scheinbar widersprüchlicher Weise. Die durch den König selbst initiierte Demagogenverfolgung, in den Händen des Geh.-Rats Kamptz, dessen Wahrnehmungsstörungen ihn, in den „Goldsprüchlein“ Jahns, den Plan zur Ermordung der eigenen Person herauslesen ließen, artete in ein hemmungsloses Treiben der Polizei aus und wurde nur durch eine kluge Administration im Bildungswesen und durch ebenso kluge Richter abgemildert [39].

Einige Monate später und nachdem die Welt nicht untergegangen war, beruhigten sich die Gemüter.

Am 26.3.1829 verstarb Humboldts Gattin Caroline. Kurz zuvor am 12. Febr. schrieb er an Goethe: »Das Zusammenleben mit meiner Frau war und ist die Grundlage meines Lebens, ich fühle mich daher in meinem Innersten angegriffen und zerstört [40]

Am 8. Mai 1829 ernannte König Friedrich Wilhelm III. den Reformer Wilhelm von Humboldt zum Vorsitzenden einer Kommission für die Einrichtung des Staatlichen Museums. Mehr noch, am 15.9.1830 erhielt W. v. Humboldt den Schwarzen Adlerorden verliehen und wurde vom König erneut in den Staatsrat berufen [41].

Eine weiteres Opfer der Metternich’schen Bespitzelung Reichsfreiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein wurde vom preußischen König im Mai 1826 zum Marschall des Westfählischen Provinziallandtages ernannt, desgleichen 1828. 1830 gedachte Stein diese Funktion aus gesundheitlichen Gründen abzugeben, entsprach aber doch der ausdrücklichen Bitte Friedrich Wilhelms III. dem Provinziallandtag als Marschall weiterhin vorzustehen [42].

In der durch einen französischen Umsturz, Revolutionen in Belgien und Polen 1830 eintretenden Krise, vermochte Preußen aufgrund innerer Stabilität wie militärischer Stärke erstmals eine führende Position in Deutschland einzunehmen. Die Helden und großen Geister von einst waren allerdings alt geworden oder gestorben:

 

Anhang:

[A] Wilhelm von Humboldt:
»Der Staat muss, in Absicht der Gränzen seiner Wirksamkeit, den wirklichen Zustand der Dinge der richtigen und wahren Theorie insoweit nähern, als ihm die Möglichkeit dies erlaubt, und ihn nicht Gründe wahrer Nothwendigkeit daran hindern. Die Möglichkeit aber beruht darauf, dass die Menschen empfänglich genug für die Freiheit, welche die Theorie allemal lehrt, dass diese die heilsamen Folgen äussern kann, welche sie an sich, ohne entgegenstehende Hindernisse, immer begleiten; die entgegenarbeitende Nothwendigkeit darauf, dass die, auf einmal gewähret Freiheit nicht Resultate zerstöre, ohne welche nicht nur jeder fernere Fortschritt, sondern die Existenz selbst in Gefahr geräth. Beides muss immer aus der sorgfältig angestellten Vergleichung der gegenwärtigen und der veränderten Lage und ihrer beiderseitigen Folgen beurtheilt werden [43]

Quellen:

[ 1] Obermann, Karl, Deutschland 1815 - 1849, Berlin 1976, S. 48
[ 2] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Bd. 2, Leipzig 1927, S. 415
[ 3] Obermann, Karl, a.a.O., S. 49ff
[ 4] Kaupp, Peter, Aller Welt zum erfreulichen Beispiel, www.burschenschaft.de, aufgerufen am 11.06.2017
[ 5] Zitate entnommen Obermann, a.a.O., S. 50f
[ 6] Wreden, Ernst Wilhelm, Grundriß der burschenschaftlichen Geschichte im Handbuch der Deutschen Burschenschaften 1998
[ 7] Duchhardt, Heinz, Der Aachener Kongress 1818, München 2018, S. 31
[ 8] Clark, Christopfer, Preußen, München 2008, S. 462
[ 9] Obermann, Karl, a.a.O., S. 25
[10] Maskolat, Henny, Wilhelm von Humboldt 1767 – 1967, Halle 1967 S. 39 und S. 50f
[11] Siemann, Wolfram, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«, Tübingen 1985, S. 177ff
[12] Siemann, Wolfram, a.a.O., S. 181
[13] Clark, Christopfer, a.a.O., S. 462
[14] Obermann, Karl, a.a.O., S. 25
[15] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 456
[16] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 434
[17] ebd., S. 431
[18.1] Wistinghausen, Henning von, Freimaurer und Aufklärung im Russischen Reich Bnd. 3, Köln, Weimar, Wien 2016, S. 160
[18.2] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 410ff
[19] Freese, Rudolf (Hg.), Wilhelm von Humboldt, Berlin 1955, S. 822
[20] ebd, a.a.O., S. 823
[21.1] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 517
[21.2] Fink-Lang, Monika, Joseph Görres – Die Biografie, Paderborn 2013, S. 185
[22] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 524f
[23] Günzel, Klaus, Der erste Sekretär Europas, Die Zeit, 17.04.1992
[24] Obermann, Karl, a.a.O., S. 53
[25] Ilse, Leopold, a.a.O., S. 52
[26] Obermann, Karl, a.a.O., S. 53
[27] Zitat entnommen Bleyer, Alexandra, Das System Metternich, Darmstadt 2014, S. 87
[28] Varnhagen von Ense, Karl August, Blätter aus der preussischen Geschichte Bd. 1, Leipzig 1868, S. 7
[29] ebd. S. 5
[30] ebd. S. 19
[31] Clark, Christopfer, a.a.O., S. 456
[32] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 638
[33] Clark, Christopfer, a.a.O., S. 464f
[34] Obermann, Karl, a.a.O., S. 53
[35.1] Ilse, Leopold, Friedrich, Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der Bundesversammlung errichteten Commission, der Central-Untersuchungs-Commission zu Mainz und der Bundes-Central-Behörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind, Frankfurt/M. 1860, S. 37
[35.2] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 542
[36] Bibl, Viktor, Metternich, Leipzig, Wien 1936, S. 183f
[37] Bibl, Viktor, a.a.O., S. 166
[38] ebd.
[39] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Bd. 3, Leipzig 1927, S. 424
[40] Freese, Rudolf, Wilhelm von Humboldt – Sein Leben und Wirken, 1953, S. 907
[41] Maskolat, Henny, a.a.O., S. 40
[42] Fenske, Hans, Freiherr vom Stein – Reformer und Moralist, Darmstadt 2012, S. 101f
[43] Humboldt, Wilhelm von, Wilhelm von Humboldt’s gesammelte Werke Bd. 7, Berlin 1852, S. 185