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Europa 1830.

Frankreich.

Nach den Wahlen 1828 (wahlberechtigt waren lediglich 100 000 der über 30 Mio. Einwohner Frankreichs) geriet der französische König Karl X. in Konflikt mit der nach Reformen drängenden II. Kammer des Parlaments. Der König. ließ die II. Kammer auflösen löste damit Unruhen aus, wurde im Juli 1830 gestürzt und durch den Herzog Louis-Philippe von Orléans, dem „Bürgerkönig“ ersetzt. Jacques Laffitte Bankier und Abgeordneter frohlockte: »Von nun an werden die Banken regieren[ 1]
Metternich forderte eine sofortige Intervention der Allianz zur Wiederherstellung der alten Ordnung, doch die Allianz plädierte für die Anerkennung des Königtums Louis Philippes [ 2].

1824 unterstützte Laffitte das Ministerium Villèle eine Rentenreduktion [A] durchzuführen. Das Bankhaus Rothschild plante 1824 im Verbund mit anderen Banken die Konversion. Das Geschäft wurde von der Deputiertenkammer abgesegnet, von der Pairskammer aber auf Betreiben von Chateaubriand abgelehnt. Rothschild mußte herbe Verluste verzeichnen. 1825 wurde die Konversion im zweiten Anlauf abgesegnet, doch die Börsenkurse fielen, worauf hin die Konversion nicht in dem geplanten Ausmaß stattfinden konnte.

Im August 1830 trat die überarbeitete Verfassung inkraft. Das Wahlrecht durften nun etwas mehr als 200 000 Männer ausüben. Die Kommunen durften sich fortan selbst verwalten und man richtete im Jahr 1833 in Orten mit mehr als 500 Einwohnern Primarschulen ein.

Fürst Metternich schrieb 1845 an den Pariser Gesandten Graf Apponyi:
»Das Haus Rothschild spielt in Frankreich eine viel größere Rolle als irgend eine fremde Regierung, vielleicht mit Ausnahme der englischen. Das hat seine natürlichen Ursachen, die ich freilich nicht als gut und noch weniger als moralisch befriedigend betrachten kann: das Geld ist in Frankreich das große Triebmittel.
Ganz offen rechnet man mit der Korruption, diesem praktisch wahrhaft bedeutsamsten Elemente des modernen Repräsentativsystems [ 3]

England.

Der exzentrisch wie konservative Premierministers Arthur Wellesly, Herzog von Wellington, Tory, Teilnehmer des Wiener Kongresses und diverser Folgekongresse entpuppte sich als Hindernis einer neuen auf den Umsturz der europäischen Verhältnisse ausgerichteten Politik Englands. Die von den Liberalen Whigs ins Feld geführten Änderungen der Konstitution bescherten diesen bei den Wahlen 1830 eine Mehrheit im Parlament. Neuer Premier wurde Graf Grey.

Palmerston, bis 1828 Kriegsminister und treuer Tory, wechselte die Seiten und übernahm das Außenministerium.

Grey setzte 1832 im dritten Anlauf seine „große“ Reform durch [ 4]:

Der großen Mehrzahl der arbeitenden Bevölkerung blieb vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Der Gutsbesitzer Palmerston machte keinen Hehl daraus, was mit der Reformbill bezweckt werden sollte: die Gegner der englischen Konstitution sollten geschwächt werden, indem die Bourgeoisie ins Boot geholt wurden. »Die Stimmung der Bourgeoisie wird sich ändern, und ihre Unzufriedenheit mit der Konstitution wird sich in Anhänglichkeit an sie verwandeln, wodurch diese eine mächtige Stärkung und Kräftigung erfahren wird [ 5]

Nathan Rothschild kümmerte sich, während der Reform-Krise 1830-1832, rührend um die Finanzen des als Premierminister abgelösten Herzogs von Wellington. Nathan Rothschilds Einfluß reichte, seit den Tagen, da sein Vater dem damaligen Prinzen und späteren König George IV. aus einer finanziellen Klemme geholfen hatte, bis in die königliche Familie hinein, inklusive Georges Schwiegersohn: Leopold von Sachsen-Coburg [ 6].

Belgien.

Ein im August 1830 in Brüssel verteiltes Flugblatt lautete:


» 23. August: Feuerwerk,
24. August: Geburtstag des Königs,
25. August: Revolution. «

 

Anlaß zur Revolution hatte der niederländische König Wilhelm I. zur Genüge gegeben, die Katholiken und französisch sprechende Bürgerschaft des Südens gegen sich aufzubringen. Er weigerte sich, den Forderungen der katholischen Kirche, das Bildungssystem zu kontrollieren, nachzugeben, noch dazu, daß der Bischof von Gent sich gegen einen Eid auf die Verfassung des Landes aussprach [ 7].

Die Niederlande, 1815 als Pufferstaat gegen Frankreich konzipiert, hatte sich die Welt 1830 geändert. Das industrielle Potential des Südens (Belgiens) hätte mit der Handelsmacht des Nordens (dem heutigen Niederlande) der englischen Wirtschaft unliebsame Konkurrenz bedeutet.

Ende August brachen Unruhen aus in deren Verlauf die Truppen des Königs geschlagen wurden. Am 4. Oktober 1830 verkündete eine vorläufige Regierung die Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden. Auch diese Revolution hatte sich wie die in Frankreich der Freiheit verschrieben, wenigstens der Freiheit von 30 000 Männern, die am 3. Nov. 1830 das Recht erhielten, einen Nationalkongreß zu wählen. Die Mehrheit der Bevölkerung blieb außen vor. Belgiens König wurde Leopold von Sachsen-Coburg.

Die belgische „Revolution“ stellte wie zuvor die französische einen Verstoß gegen das Wiener Vertragswerk da. Wer fühlte sich an das Vertragswerk gebunden?
Metternich  –  nicht. Ludwig Börne erklärt warum: der Verkauf Österreichischer Rentenpapiere durch Rothschild hielten Metternich davon ab, gegen die Ausbreitung der Revolution in Italien und Belgien vorzugehen [ 8].

Nikolaus I. Kaiser von Rußland mußte einschreiten, da die Übernahme der Schulden Rußlands gegenüber Hope & Co. durch Wilhelm I. an die Klausel gebunden war, daß die Niederlande ungeteilt blieben [ 9].

Polen.

Nikolaus plante seine polnischen Truppen gegen die Aufständischen in den Niederlanden einzusetzen. Doch es waren nicht mehr seine Truppen. Großfürst Konstantin Pawlowitsch Romanow Vizekönig in Polen und Kommandeur der polnischen Armee hatte sich durch Rohheit und übertriebene Strenge die Soldaten zum Feind gemacht. Nowosilców tat als Leiter der Geheimpolizei ein Übriges die Bevölkerung Polens gegen die Regierung aufzubringen.

Die trotz allem, mit Ausnahme der 1820 infolge der Karlsbader Beschlüsse auch in Polen aufgehobenen Pressefreiheit, fortbestehenden verfassungsmäßigen Rechte halfen den Gegnern der Romanow-Herrschaft sich zu organisieren und die polnische Armee zu unterwandern [10]. Kaiser Alexander I. hatte sich von seinem Bruder und Nachfolger Nikolaus I. das Versprechen geben lassen, die polnische Verfassung zu bewahren. Sich keinerlei Illusionen hingebend reiste Nikolaus, als König von Polen, den neu gewählten polnischen Reichstag zu eröffnen, nach Warschau. An Friedrich Wilhelm III. schrieb er vor seiner Abreise: »Wir bereiten uns jetzt zur Abreise nach Warschau vor… Sie kennen, Sire, meine Leidenschaft für konstitutionelle Formen und werden sich sagen, welche Freude es für mich ist, auf einem Reichstage Figur zu machen. Da ich aber einmal diese Institutionen geerbt und geschworen habe, sie aufrecht zu erhalten, gehe ich ehrlich ans Werk. Ich bitte Gott, mich zu leiten und diejenigen vor Dummheiten zu bewahren, die berufen sind, für das Glück eines Landes zu arbeiten, das alle Voraussetzungen dazu besitzt [11] Doch der liebe Gott scheint die Bitte Nikolaus‘ nicht vernommen zu haben.

Nahezu zeitgleich mit Beginn der Londoner Konferenz zur Regelung der Niederländischen Angelegenheiten begann der Novemberaufstand in Polen. Die Stärke der polnische Armee betrug 130000 Mann, wovon allerdings nur knapp die Hälfte einsatzbereit war [12]. Konstantin Pawlowitsch flüchtete außer Landes und die russischen Verbände wurden vertrieben. Die polnischen Truppen suchten den Aufstand in die für Polen reklamierten Gebiete Litauen, Wolhynien und Podolien hineinzutragen.

Der englische Außenminister Palmerston garantiert dem russischen Kaiser Nikolaus I., daß er sich um die Rückzahlung der russischen Anleihe an Hope & Co. keine Sorgen machen müsse. »Doch ist damit noch nicht das außerordentliche Vorgehen des edlen Lords erschöpft. Nachdem die belgische Revolution ausgebrochen war und ehe noch das Parlament die neue russische Anleihe genehmigt hatte, nahm Palmerston schon die Kosten des russischen Krieges gegen Polen auf sich unter dem falschen Vorwand, die alte Schuld abzuzahlen, die England 1815 kontrahiert hatte;... « [13]

Im November 1830 besetzen zwei Leutnants das Arsenal und das Schloß Belvedere. Großfürst Konstantin zieht sich mit seinen Truppen zurück. Der erweiterte Verwaltungsrat unter Leitung von Adam Czartoryski setzt eine provisorische Regierung ein und ernennt einen Gegner Konstantins, General Józef Chłopicki zum Oberbefehlshaber der Armee. Chłopicki erklärt sich am 18.12. zum Diktator, setzt die provisorische Regierung ab und nimmt, da ihm ein erfolgreiches militärisches Vorgehen aussichtslos erscheint, Verhandlungen mit Nikolaus einerseits und mit den Westmächten andererseits auf. Der Hochadel, die liberale Kalisch-Gruppe und die auf den Wilnaer Historiker Lelewel zurückgehenden Linken zerstreiten sich. Chłopicki tritt am 17.01.1831 zurück. Der linke Czartoryski erhebt sich zum Führer einer neuen Nationalregierung und ernennt den Fürsten Michał Radziwiłł zum Oberbefehlshaber [14].

Am 25.01.1831 erklärt der polnische Reichstag die Dynastie Romanow für abgesetzt und ruft ein unabhängiges Polen aus. Nun erst befiehlt Nikolaus I. seiner Armee den Aufstand niederzuschlagen. Am 8. September 1831 rücken die russische Soldaten in Warschau ein. Polen verliert seine Eigenstaatlichkeit und wird russische Provinz.

Anmerkung:
[A] Konkret sollten mit 5% verzinste Staatsanleihen (Renten) in Staatsanleihen zu 3% Zinsen umgewandelt werden, was nur dann für die damit beauftragte Bank von Vorteil ist, wenn der Preis, mit dem die Anleihe an der Börse gehandelt wird, den, um den Zinssatz geminderten Ertrag, übersteigt.

Quellen:

[ 1] Marx/Engels – Werke Band 7, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, Berlin 1960, S. 12.
[ 2] www.eden.one – Julirevolution und europäische Blockbildung 1830-1834, abgerufen am 02.01.2018
[ 3] Fürst Metternich zitiert nach Ehrenberg, Richard, Grosse Vermögen – Ihre Entstehung und ihre Bedeutung, Jena 1905, S. 114
[ 4] www.parliament.uk – The Reform Act 1832, abgerufen am 02.01.2018
[ 5] Palmerston am 27. Juni 1828 im Unterhaus, zitiert nach Marx/Engels – Werke Band 9, „Lord Palmerston“, Berlin 1960, S. 363
[ 6] Ferguson, Niall, The House Of the Rothschild Vol. 1, New York 1999, S. 20f
[ 7] Die Revolution in Belgien im Jahre 1830, Stuttgart 1831, S. 16
[ 8] Ferguson, Niall, a.a.O., S. 30
[ 9] Marx/Engels – Werke Band 9, „Lord Palmerston“, Berlin 1960, S. 363
[10] Spazier, Richard Otto, Geschichte des Aufstandes des polnischen Volkes in den Jahren 1830 und 1831, Altenburg 1832, S. 69
[11] Nikolaus I. Kaiser von Rußland und König von Polen zitiert nach Schiemann, Theodor, Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus I. Bd. 2, Berlin 1908, S. 404
[12] Pierer´s Universal-Lexikon – Polnischer Insurrectionskrieg 1831
[13] Marx/Engels, „Lord Palmerston“, a.a.O., S. 380
[14] Hoensch, Jörg, Geschichte Polens, Stuttgart 1998, S. 198f