g-schichten.de
G-SCHICHTEN.DE

Die Entstehung der ersten Gewerkschaften in Deutschland.

Seite drucken

Zeitenwende.

Die in Preußen im Zuge der Roonschen Heeresvorlage (um 1861) heraufbeschworene Verfassungskrise bewog Ferdinand Lassalle einerseits einem bürgerlichen Publikum Vorträge über das Verfassungswesen zu halten, andererseits wandte er sich direkt an die Arbeiter. In Leipzig (Kgr. Sachsen) geschah dies 1862 auf Initiative des Fabrikanten Ludwig Loewe. Mit dabei war der Drechslermeister August Bebel, der den Arbeiterverein Vorwärts vom Bildungsverein Leipzig abspaltete. Ein Central-Comitee zur Berufung eines Allgemeinen Arbeiter-Congresses wurde gegründet. Lassalle wurde auf’s Schild gehoben und am 24.März 1863 beschloß der in Leipzig stattfindende Kongreß die Gründung einer Partei. Am 23. Mai 1863 konstituierte sich der Allgemeine Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Sein erster Präsident hieß Ferdinand Lassalle [ 1].

Zentrales Anliegen des ADAV war die Gründung von Gewerkschaften, damals, in Anlehnung an die britische Trade-Union, Gewerkverein genannt.

Das Koalitionsverbot.

Der Bildung von Gewerkschaften stand in Deutschland das Koalitionsverbot entgegen, d.h. die Gewerbeordnung verbot es Arbeitern und Arbeitgebern, sich, zur Wahrung ihrer Interessen, Verabredungen oder Vereinigungen zu bedienen.

1861 kippte das Königreich Sachsen, als erster deutscher Staat, dies Koalitionsverbot und machte so den Weg zur Gründung von Gewerkschaften frei. Mit dem Allgemeinen Deutschen Zigarrenarbeiterverband entstand dort am 25.12.1865 die erste Gewerkschaft, es folgten Ende Mai 1866 der Deutsche Buchdruckerverband und am 14.10.1867 der Allgemeine Deutsche Schneiderverein [ 2].

Am 10. September 1867 eröffnete der preußische König Wilhelm den 1. Reichstag des Norddeutschen Bundes. Nachdem Österreich im Krieg von 1866 geschlagen worden war, stand der Entwicklung eines modernen deutschen Staates nichts mehr im Wege. Es war der Abgeordnete der Fortschrittspartei Schulze-Delitzsch dessen Antrag schlichtweg die Aufhebung des Koalitionsverbotes vorsah. Der Abgeordnete Becker aus Dortmund unterstützte Schulze-Delitzsch indem er darauf hinwies, dass man unmöglich einer großen Klasse von Bürgern das Vereinsrecht vorenthalten könne, nachdem man ihnen die höchste Funktion, die Wahl der Gesetzgeber eingeräumt habe [ 3]. Der Präsident des Bundeskanzleramtes Martin Friedrich Rudolph von Delbrück ergriff das Wort, sprach sich für die Koalitionsfreiheit aus, doch nicht hier und nicht heute.

Der Antrag Schulzes wurde mit 122 gegen 71 Stimmen vom Reichstag angenommen [ 4].

Am 1. Oktober 1869 trat die neue Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes inkraft in deren § 152 das Koalitionsrecht (Rechtsgrundlage der Gewerkschaften) es hieß [ 5]:

»Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letztere weder Klage noch Einrede statt.«

Einschränkungen zur Ausübung des Koalitionsrechtes bestanden für Beamte, Landarbeiter und Seeleute [ 6].

Ziel und Zweck der Gewerkschaft.

Auf dem Nürnberger Vereinstag vom 5. bis 7. September 1868 wurde das Programm des Verbandes Deutscher Arbeitervereine den Statuten der I. Internationalen angepasst. Im Oktober/November 1868 setzten August Bebel und Karl Liebknecht ihre Ideen einer sozialistischen Gewerkschaft gegen den Präsidenten des ADAV Johann Batist von Schweitzer durch [ 6].

Am 28.11.1868 veröffentlichte das Demokratische Wochenblatt die von der I. Internationalen vorgeschlagenen Musterstatuten zu Zweck und Ziel der Gewerkschaften [ 7]:

§ 1.
Die Gewerksgenossenschaft der deutschen… Arbeiter ist zu dem Zweck gegründet, die Würde und das materielle Interessen der Beteiligten zu wahren und zu fördern.
 
§ 2.
Zur Erreichung dieses Zieles verpflichtet sich die Genossenschaft, alle Mittel und Wege, welche die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen, der Erfahrungen und Lehren der Wissenschaft und das Klassenbewußtsein der Arbeiter ihr an die Hand geben, zu benutzen und zu verwerten.
Insbesondere macht sich die Genossenschaft anheischig, als nächstes Mittel zum Zwecke folgende Einrichtungen ins Leben zu rufen resp. zu unterstützen und fortzuführen:
 
a.) Bildung eines Fonds, 1. zur Unterstützung solcher Mitglieder der Genossenschaft, welche durch Maßregelung seitens der Arbeitgeber oder Arbeitseinstellung außer Arbeit sind; 2. zur Unterstützung in Fällen der Not;
b.) Errichtung einer allgemeinen Krankenunterstützungs- und Begräbniskasse;
c.) Gründung einer Invaliden- und Altersversorgungskasse;
d.) Gründung einer allgemeinen Wanderunterstützungskasse;
e.) Gewährung von Schutz an die Mitglieder gegen Bedrückung oder ungerechtfertigte Anforderungen von Seiten der Arbeitgeber und Behörden, nötigenfalls Bestreitung der Kosten für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Klagen und Führung der Prozesse aus der Genossenschaftskasse;
f.) statistische Erhebungen über Höhe der Löhne, Arbeitszeit, Lebensmittelpreise und den Stand des Arbeitsmarktes überhaupt. Arbeitsvermittlung;
g.) Regelung und Beaufsichtigung des Lehrlingswesens;
h.) Gründung resp. Unterstützung eines Preßorgans, das die Interessen der Gewerksgenossenschaft wahrnimmt;
i.) Erstrebung eines Verbandes der deutschen Gewerksgenossenschaften oder, falls derselbe schon vorhanden sein sollte, Anschluß an denselben

Die Gewerkschaftler sollten sich nach Berufsgruppen organisieren. Die lokalen Organisationen verfügten gegenüber den zentralen Organen ihrer Gewerkschaft über weitgehende Unabhängigkeit.

Spaltung international.

Ab 1869 wurde durch Ernst Werner (Buchbindergewerksgenossenschaft Leipzig) und Johann Faaz (Gewerksgenossenschaft Metall Nürnberg) sowie durch weitere Gewerksvereine die Schaffung internationaler Verbände betrieben [ 8].

Im Winter 1869/70 streikten rund 8000 Waldenburger Bergarbeiter. Die sich vom ADAV abgrenzende Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP) organisierte eine breite Solidaritätsbewegung; im Ausland durch die Internationalen Gewerksgenossenschaften und die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) organisiert [ 9].

Roter Stern

Im Juni/Juli 1871 streikten knapp 20 000 Bergarbeiter an der Ruhr. In ganz Deutschland waren Mitte 1872 gerade einmal 11 358 Arbeiter in den sozialistischen Gewerkschaften organisiert [10]. Zu dieser Zeit waren es nicht die Gewerkschaften, die die Arbeitskämpfe organisierten, sondern aus den Arbeitskämpfen entstanden die Gewerkschaften [11].

Doch die Arbeiterbewegung war in sich zerstritten. Johann Batist von Schweitzers Versuch die nach Berufsgruppen aufgestellten Gewerkschaften miteinander zu verschmelzen und sie der Politik des von ihm geführten ADAV zu unterwerfen, führte zur Spaltung der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung [12].

Während sich in den klassenkämpferischen, freien Gewerkschaften die Anhänger von Marx/Bebel/Liebknecht und Schweitzer stritten, versammelte Max Hirsch das Berliner Maschinenbauer-Gewerk, die Maschinenbauer Danzigs und die Maler Berlins am 28. September 1868 den Deutschen Gewerkverein zu gründen. Den Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein verband mit den Genossenschaften Schulze-Delitzschs und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei organisatorisch nichts. Ihnen gemein war jedoch das Ziel, die Gesellschaft durch einen Interessenausgleich und Kooperation von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu reformieren [13] [14].

 

Quellen:

[ 1] Lassalle und die Gründung des ADAV auf www.lassalle-kreis.de Stand 8.10.2021
[ 2] Fricke, Dieter, Die deutsche Arbeiterbewegung 1868-1914, Berlin 1976, S. 623
[ 3] Sybel, Heinrich von, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bnd. VI, Berlin 1913, S. 188f
[ 4] ebd., S. 192
[ 5] Fricke, Dieter, a.a.O., S. 623f
[ 6] ebd., S. 624
[ 7] Zitiert nach Fricke, a.a.O, S. 625f
[ 8] Fricke, Dieter, a.a.O., S. 628
[ 9] ebd., S. 630
[10] ebd., S. 631f
[11] Kaltenborn, Wilhelm, Vision und Wirklichkeit, Berlin 2012, S. 79
[12] Fricke, Dieter, a.a.O., S. 636f
[13] Rosenberg, Ludwig, Vor hundert Jahren: Gründung der Deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker)in Gewerkschaftliche Monatshefte 19. Jahr Ausgabe Sept. 1968, S. 514ff
[14] Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine auf www.dhm.de/ lemo/kapitel/ weimarer-republik/innenpolitik/ hirsch-dunckersche-gewerkvereine.html Stand 8.10.2021

G-SCHICHTEN.DE