Gegen Ende des 19. Jhdts. geriet Venezuela in eine massive Wirtschaftskrise. Im Herbst 1899 stürzte Cipriano Castro die Regierung Ingnacio Andrade, deren Amtszeit erst am 1. März 1902 hätte beendet sein sollen. Während Andrade die Zahlungen an die Gläubiger in In- und Ausland aufrechterhielt änderten sich die Verhältnisse mit Castros Amtsantritt.
Die Rechnungen der Venezuela-Eisenbahn über 600 000 Mark für den Transport venezolanischer Truppen im Jahre 1899 und 1900 wurde nicht beglichen, die der deutschen Bahn zugesicherte Garantiesumme von 7% wurde nicht bezahlt. Die Rechnungen deutscher Handelshäuser wurden komplett ignoriert.
Am 8. März 1901 und am 16. Juli 1901 übermittelte die deutsche Regierung eine Denkschrift an die venezolanische Regierung sich dem Urteil des Haager Schiedsgerichtes zu unterwerfen. Castro lehnte ab und schlug vor die Angelegenheiten von einem Venezolanischen Schiedsgericht regeln zu lassen. Das lehnte Deutschland ab.
Am 31. Dezember 1901 legte die deutsche der venezolanischen Regierung eine Rechnung in Höhe von 1 375 052 Mark vor. Die wurde ignoriert, was zu einer scharfen Note des Deutschen Reiches führte [ 1]. Zudem hatte Castro im Januar 1901 erklärt, nicht für die Schulden seiner Vorgänger (das 4-fache der jährliche Wirtschaftsleistung des Landes) aufzukommen [ 2].
Die Bemühungen der deutschen Regierung mit Unterstützung der USA zu einer Regelung mit Venezuela zu kommen, wurden von den USA zurückgewiesen. In den folgenden Monaten verhandelte das Deutsche Reich mit Großbritannien über ein gemeinsames Vorgehen. Im November 1902, Kaiser Wilhelm II. weilte zu einem Besuch in Großbritannien, unterzeichneten beide Seiten ein entsprehendes Abkommen [ 3].
In Mittel- und Südamerika trafen die widerstreitenden Kapitalinteressen blutig aufeinander. Doch es galt die Monroe-Doktrin: Amerika den Amerikanern.
Also finanzierten Engländer amerikanische Warlords, die Regierung Castro zu stürzen [ 4] und die New York & Bermúdez Company (engagiert im Naphta-Gebiet des Oriente) schickte den Banker Manuel Antonio Mato ins Rennen um die Macht [ 5] in Venezuela. Die im Lande tätigen deutschen Unternehmen, Händler und Farmer litten [ 6].
Doch der „Revolutionär“ Mato scheiterte. Im November 1902 wurden der Banker und seine Söldner in der Schlacht von La Victoria von den Truppen Cipriano Castros geschlagen [ 7]. Nun mußten die europäischen Staaten selbst handeln.
Noch war der Einfluß von Edward Grey, Herbert Asquith, Lord Rosebery und Richard Haldane nicht bestimmend für die britische Politik und ein Bündnis mit Deutschland durchaus im Bereich des Möglichen [ 8].
Der dilettantisch geführte Burenkrieg erschütterte das Selbstbewußtsein des Empires und kluges Agieren wurde durch Brutalität ersetzt. Der ins Wanken geratene Kolonialminister Joseph Chamberlain sah sich veranlaßt, am 25. Oktober 1901 in Edinburgh strengere Maßregeln im Burenkrieg zu befürworten, die relativierte er, an die Barbarei und Grausamkeiten anderer Nationen, begangen in Polen, in Tongking, … und denen im Kriege 1870 begangenen, erinnernd.
Lord Rosebery tadelte Chamberlains härteren Kurs in einer Rede die er am 20. Dezember in Chesterfield hielt und der deutsche Reichskanzler v. Bülow assistierte dem germanophoben Lord – die Empörung aufgrund Chamberlains Anspielung auf den Krieg 1870 aufgreifend – indem er ein Detail der Rede Chamberlains zu einem Politikum aufblies. In seiner Rede vom 8. Jan. 1902 gut zwei Monaten nach Chamberlains Rede zeigte er sich bestürzt über die Erwähnung des Krieges 1870 und unterstellte Chamberlain die Absicht, das Ansehen der deutschen Armee schmälern zu wollen:
»Laßt den Mann gewähren und regt euch nicht auf;
er beißt auf Granit.«
In England wurde mit viel Aufwand die deutschfeindliche Stimmung geschürt. Mit im Chor befand sich der englische Dichter Kipling, der in einem Gedicht gegen die deutschfreundliche Haltung der Regierung Balfours wütete. Graf Bülow sprach von »Verbalinjurien eines wildgewordenen Poeten von großem Talent.« [ 8]
Die Tragödie bestand darin, daß der deutsche Reichskanzler und vormalige Außenminister nicht erkannte, daß eine auf Frieden bedachte englische Regierung durch die Verfechter eines schrankenlosen Imperialismus gestürzt werden sollte. Bülow ließ sich von ihnen provozieren und schadete damit einem guten deutsch-englischen Verhältnis.
Das zarte Pflänzchen gut nachbarschaftlicher Beziehungen war geschädigt [ 9] Gegenüber dem Daily Telegraph ließ Kaiser Wilhelm II. 1908 seiner Verzweiflung am Irrsinn einer deutschen Außenpolitik, die die Buren feierte und sich damit England zum Feind machte, sowie der Zurückweisung deutscher Annäherungsbemühungen durch England freien Lauf.
Die guten Erfahrungen der Kooperation von britischer und kaiserlicher Marine während der Blockade Venezuelas ließen ihn trotz allem während des Interview die Vorstellung entwickeln:
»Es mag sogar sein, daß selbst England einmal froh sein wird, daß Deutschland eine Flotte hat, wenn sie beide zusammen gemeinsam auf derselben Seite in den großen Debatten der Zukunft ihre Stimmen erheben werden.«
Großbritannien setzte sich mit den USA in Verbindung und erhielt die Erlaubnis gegen Venezuela Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Mit im Boot war Deutschland.
Aufgrund der Unruhen in Venezuela war bereits im Jahre 1900 der unter Kommando des Kontreadmiral Scheder-Bieschin stehende Kreuzer „Vineta“ in die Karibik aufgebrochen. Ihr folgten im Jahre 1901 „Falke“, 1902 „Gazelle“ und „Panther“, 1903 die Schulschiffe „Charlotte“ und „Stosch“ [10].
Selbst dem Deutschen Reich signalisierten die USA grünes Licht für die geplanten Zwangsmaßnahmen:
Theodor Roosevelt zu einem deutschen Diplomaten: „Wenn irgend ein südamerikanischer Staat sich gegenüber einem europäischen Staat nicht zu benehmen weiß, laßt ihn von einen europäischen Staat verhauen.“ Roosevelt fügte, wohl um glaubwürdig zu erscheinen, die Einschränkung hinzu: „Die Bestrafung sollte jedoch nicht durch eine territoriale Besitznahme durch nicht-Amerikaner erfolgen [11].“
Anfang Oktober 1902 lief das deutsche Flaggschiff „Vineta“ die venezolanischen Küste an, um sich einen Überblick über die Gegebenheiten vor Ort zu verschaffen. Auftakt der geplanten Blockade sollte die Beschlagnahme aller venezolanischen Kriegsschiffe und Regierungsfahrzeuge sein. Es waren dies der Kreuzer „Restaurodor“, die Kanonenboote „Bolivar“, „Miranda“, „General Crespo“, „Zumbador“, „Totumo“, „23 de Mayo“, das Torpedoboot „Margarita“, der Transportdampfer „Zamora“ sowie mehrere Zollfahrzeuge [12].
Am 7. Dezember 1902 überreichten die Geschäftsträger Englands und Deutschlands der venezolanischen Regierung ihre Forderungen, befahlen anschließend ihre Landsleute vor Ort dem Schutz der US-Botschaft und begaben sich auf die Retridution bzw. die Vineta.
Gefordert wurden
1. alle vor dem Jahre 1900 angerichteten Schäden sollten in bar ersetzt werden; (1 700 000 Bolivares);
2. alle seit 1900 entstandenen Forderungen sollten voll anerkannt und sichergestellt werden.
Jede der beiden Regierungen werde auf volle Befriedigung der Forderungen des jeweils anderen bestehen [13].
Roosevelt versuchte den deutsch-britischen Schulterschluß zu hintertreiben, indem er Deutschland ein Ultimatum stellte, das am 8. Dezember, während des laufenden britisch-deutsche Ultimatums an Venezuela, ablaufen sollte. Der deutsche Gesandte in Washington v. Holleben ging darauf nicht ein, erschien aber am 8. beim Präsidenten der USA um dessen Stimmung zu erkunden. Roosevelt drohte jetzt dem Deutschen Reich unverblümt mit einem Krieg.
Er teilte dem deutschen Botschafter v. Holleben mit, daß er dem Deutschen Kaiser weitere 10 Tage Zeit gebe, auf eine eigenständige Schadensregelung zu verzichten und die USA als Schlichter anzuerkennen, andernfalls würde er Admiral George Dewey mit seinen 53 Kriegsschiffen, die bei Puerto Rico ein „Manöver“ abhielten an die Venezolanische Küste beordern [14].
Dewey hatte sich bei den von den USA kurz zuvor veranstalteten Massakern auf den Philipinen (1899-1902: 4000 tote US-Soldaten; mehr als 20 000 tote Rebellen; ca. 200 000 tote Zivilisten [15]) ausgezeichnet und machte aus seinem Haß gegenüber den Deutschen keinen Hehl.
Aus den USA wurden in Süd-, Zentral- und Nordamerika Gerüchte verbreitet, die bis zum heutigen Tag gepflegt werden, denen Roosevelt, sofern er nicht selbst zu den Urhebern gehörte, zumindest Glauben schenkte [16] [17] . Graf v. Bülow am 19. März 1903 hierzu in seiner Rede im Reichstag:
»Es wurde verbreitet, daß wir uns mit Landerwerbsabsichten trügen, daß wir der Selbständigkeit dieser oder jener amerikanischen Republik zu nahe treten wollten. In der Verbreitung solcher Lügenmären zeichnete sich besonders der „New York Herald“ aus. Der hatte sich einen eigenen Beamten im deutschen Auswärtigen Amt erfunden, von dem mein verehrter Nachbar, der Freiherr v. Richthofen *), bis dahin nicht das mindeste gewußt hatte, und dieser Beamte hatte ihm versichert, wir wollten zunächst Venezuela, dann Columbien und endlich Brasilien attakieren [18].«
*) Oswald von Richthofen war zu der Zeit Leiter des Auswärtigen Amtes
Am 9. Dezember erklärten der britische und deutsche Geschäftsträer in Venezuela, daß die Frist zur Erfüllung des Ultimatums abgelaufen sei.
Ein Teil der zur Beschlagnahme vorgesehenen Schiffe befanden sich im Hafen von La Guayara weitere venezolanische Schiffe wurden in der Nähe von Trinidad vermutet.
Die Kommandanten einigten sich an Bord des deutschen Flaggschiffes darauf, kurz vor Eintreten der Dunkelheit die in La Guayara befindliche „General Crespo“ durch „Vineta“, die „Totumo“ durch „Panther“ und „Ossun“ durch die „Retribution“ zu beschlagnahmen. Gleichzeitig sollten die Engländer das Torpedoboot „Margarita“ durch Entwendung notwendiger Maschinenteile unbrauchbar machen [19].
Die reperaturbedürftigen „Crespo“ und „Totumo“ sollten durch Panther nach Curaçao geschleppt werden. Auf dem Weg dorthin signalisierte nachts um 10 Uhr der deutsche Konsul: „Befinde mich in Gefahr“. Die im Schlepp befindlichen Schiffe wurden durch Sprengladungen versenkt und „Panther“ kehrte nach La Guayara um, „Vineta“ zu decken, die eine Abteilung unter dem Befehl des Kapitänleutnants Felix Schultz (späterer Kommandant der „Scharnhorst“ – gestorben vor den Falkland-Inseln) gelandet hatte, das Leben des Konsuls vor dem Zugriff venezolanischer Soldaten zu schützen [20].
Um 2 Uhr nachts kehrte die Abteilung mit dem Konsul auf die „Panther“ zurück. Am frühen morgen teilte der brit. Kommandant mit, einen Trupp entsenden zu müssen, um bedrohte Landsleute vor dem Zugriff der Venezolaner zu bewahren. Die deutschen Schiffe hatten nun ihrerseits die Aktionen der Briten zu decken. Castro hatte, nachdem er von der Beschlagnahme seiner Schiffe erfuhr, die Absicht verfolgt, britische und deutsche Staatsbürger als Geiseln festzusetzen [21].
Am 11. Dezember verließ die „Vineta“ La Guyana mit dem Ziel Guanta. Dort befand sich die „Gazelle“ in Wartestellung, um, auf das dann vom Flaggschiff gegebene Signal: »Ultimatum abgelehnt« hin, die Boote zu Wasser zu lassen und mit äußerster Kraft rudernd den venezolanischen Kreuzer „Resaurador“ anzusteuern. Die Bordwände wurden erklettert und nach wenigen Minuten die Kontrolle über das Schiff gewonnen. Der sich in schlechtem Zustand befindliche Kreuzer wurde unter das Kommando von Kapitänleutnant Türk in die deutsche Flotte eingegliedert. Der erste Weg führte das Schiff in das britische Dock auf Trinidad [22].
Am selben Tag trat Italien der britisch-deutschen Allianz bei [23].
In der Nacht zum 12. Dez. traf die nach Westen fahrende „Vineta“ auf den brit. Kreuzer „Charybdis“ der von den Bermudas kommend unter Kommando des Kommodore Montgomery den von den Venezolanern in Porto-Cadello festgehaltenen Dampfer „Topaze“ zurückzugewinnen [24].
Kaiser Wilhelm II. befahl der Marine von einseitigen Machtdemonstrationen abzusehen und erklärte [25]:
»Wir erlauben Unserer Flagge der Führung
durch die britische Flagge Folge zu leisten.«
Anstelle der deutschen Machtdemonstration erfolgte eine Demonstration britisch-deutscher Geschlossenheit. Das deutsche Flaggschiff folgte dem britischen Kommando. Da die „Topaze“ nicht freigegeben wurde, schossen „Charybdis“ und „Vineta“ die beiden der Verteidigung des Hafens dienende Forts zusammen.
Roosevelt war aufgrund seiner privaten Quellen überzeugt: „Wenn es durch die Deutschen zu einem Verstoß gegen die Monroe Doktrim käme, würde Großbritannein die deutschen Schiffe ohne zu zögern Admiral Dewey überlassen und seine Neutralität erklären [26].“
Admiral Dewey bereitet alles vor um nach Trinidad, dem Stützpunkt der britischen Marine auszulaufen. All das geschah derart geheim, daß es den Briten schwerlich verborgen hätte bleiben können. Zudem wird versucht, Stimmen in der britischen Öffentlichkeit laut werden zu lassen, die sich gegen das deutsch-britische Vorgehen aussprechen.
Am 16. Dez. 1902 stimmte das britische Kabinett dem Vorschlag von Lord Lansdowne zu, sich der US-amerikanischen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Am selben Tag wurde durch Kabinettsordre die bislang als loser Verband opperierenden Schiffe der deutschen Marine zu einer Kreuzerdivision erweitert und dem direkten Kommando Kaiser Wilhelm II. unterstellt. Neben der übernommenen „Restaurador“ erhielt die Division Verstärkung durch den Kreuzer „Sperber“ und den Kohlendampfer „Sibiria“ [27].
Gleichzeitig setzte sich der US-amerikanische Geschäftsträger Bowen für die Freilassung deutscher und britischer Gefangene ein und die restlichen im Golf von Paria befindlichen, venezolanischen Schiffe ergaben sich den Briten.
Am 17. Dezember 1902 überließ es Castro, auf Drängen des venezolanischen Außenministerium, dem US-Botschafter Herbert Bowen, die Interessen Venezuelas gegenüber den europäischen Staaten zu vertreten [28].
Auch nachdem die europäischen Staaten die USA als Schiedsstelle anerkannten und Venezuela seine Interessen durch die USA vertreten ließ blieb eine schnelle Einigung aus.
Am 19. Dezember 1902 luden Deutschland und Großbritannien Roosevelt formell ein, ihre Ansprüche gegen Venezuela zu schlichten. Roosevelt sagte, er würde darüber nachdenken und ging in Urlaub [29].
Castro seinerseits nutzte die Zeit um von den ausländischen Kaufleuten in Caracas eine nicht unbeträchtliche Zwangsanleihe einzufordern [30].
Am 20. Dezember begann der regelmäßige Blockadedienst. Der Schiffsverkehr nach Venezuela kam weitgehend zum Erliegen. Den Postdampfern wurde anheimgestellt, die Beförderung der Briefe durch die britische bzw. deutsche Marine besorgen zu lassen. Den venezolanischen Fischereibooten wurde der küstennahe Fischfang weiterhin erlaubt.
Die Blockade des Handels zur See beeinträchtigte den Export Venezuelas und den Import von Waren die nicht zur Deckung der Grundversorgung der Bevölkerung dienten [31].
Mit den Briten wurde verabredet, daß die deutschen Schiffe die Häfen westlich von 67° 30′ w. L. kontrollierten und die englischen Schiffe, zunächst waren das der Kreuzer Retridution und der Zerstörer Quail, davon östlich gelegenen Häfen [32].
Die Kreuzerdivision richtete in der niederländischen Kolonie Curaçao einen Stützpunkt ein, um die Versorgung der Schiffe und die Kommunikation mit Deutschland zu sichern. Die Niederlande waren neutral, einerseits darauf bedacht ihren Handel mit Venezuela nicht zu gefähreden, andererseits hofften sie gleichzeitig, daß eine erfolgreiche Blockade dazu führe, daß Venezuela auch die bei den Niederlanden aufgelaufenen Forderungen anerkenne und begliche. Gern sah man die Anwesenheit der Deutschen Marine nicht auf Curaçao [33].
Mit dem Eintreffen des Flaggschiffes der brit. Ostamerikastation „Ariadne“ in Port of Spain übernahm dessen Kommandeur Vizeadmiral Sir Archibald Douglas den Oberbefehl. Die Briten hatten derzeit die Kreuzern „Charybdis“ (Flaggschiff der Division unter dem Kommando von Kommodore Montgomerie), „Indefatigable“, „Retribution“, „Tribune“, „Fantome“ und „Pallas“ und das
Kanonenboot „Alert“, den Zerstörern „Quail“ und „Rocket“ sowie den Tender „Columbine“ vor Ort [34].
Da die Verhandlungen stockten, wurde die in der Lagune von Puerto-Cabello liegenden Küstenschiffe als Brise genommen. Ein Teil der Schiffe schleppte man nach Port of Spain, der Rest blieb sammt Besatzung in der Lagune.
Die Blockadestation des „Panther“ und des „Falken“ im Golf von Maracaibo war aufgrund des starken Windes, der heißen Temperaturen und der Untiefen eine Tortour für die Mannschaft. Ihnen Erleichterung zu verschaffen ließ Korvettenkapitän Eckermann das Schiff in die ruhigeren, küstennahen Gewässer verlegen. Wider Erwarten wurde „Panther“ durch das entwaffnet gemeldete Fort San Carlos beschossen. Nachdem das aufgrund der schmalen auf die Festung zulaufende Fahrrinne einzig einsetzbare Buggeschütz durch einen Treffer beschädigt worden war, mußte Panther das Gefecht abbrechen.
Der in der Presse zum „glorreichen Sieg“ Venezuelas über die kaiserliche Marine hochgejubelte Zwischenfall führte zum Entschluß, das Fort San Carlos unbrauchbar zu machen. Dank günstiger Verhältnisse konnte dies durch den von „Panther“ unterstützten Einsatz der „Vineta“ die 20 21cm-Granaten und 86 15cm-Granaten auf das Fort feuerte auch erreicht werden. Venzuela meldete 12 Tote und 14 Verwundete.
Anfang Januar 1903 trafen die italienischen Schiffe „Carlo Alberto“, „Giovanni Bausan“ und „Elba“ ein. Sie standen unter dem Befehl Kapitäns Martinis und dienten der Blockade von Bela de Coro und Tucacas. Stützpunkt der Italiener war ebenfalls Curaçao.
Nachdem Castro bereits Anfang Januar die Forderungen anerkannt hatte, kam es aufgrund einer starrköpfigen Haltung Bowens in der Frage, hinsichtlich der Sicherheiten für die zu zahlenden Summen zu heftigen Konflikten. Ein englischer Bericht nannte Bowen „very obdurate“. Hinzu kam Bowens Bemühen, zur Schlichtungskonferenz auch die Gläubigerstaaten zu laden, die nicht an der Blockade teilnahmen [35].
Die britische Regierung ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie die Forderungen der Gläubiger durchzusetzen gewillt war und den Konflikt mit den USA nicht scheute. Je schwächer die Position der USA wurde, desto stärker ihre Anstrengungen, die britische Regierung Balfour durch den Druck der Öffentlichkeit und durch ihnen verbundene britische Parlamentarier in Bedrängnis zu bringen. Das sich zunächst gegen die sture Haltung der USA zeigende Unbehagen in Großbritannien wendete sich nun gegen Deutschland [36].
Allen voran Lord Rosebery, der während die Verhandlungen noch liefen, sich [nach Bülow] zu der Behauptung verstieg: „bei dem Ausgang der Venezuelaexpedition hätte England 5500 Pfund Sterling erhalten, Deutschland 68 000 Pfund Sterling, also zwölfmal mehr, und diese Summe repräsentiere das Verhältnis des Vortheils, welchen England von seinem Zusammengehen mit Deutschland gehabt hat. Und Lord Rosebery fügt hinzu: genau so läge es bei allen Abmachungen, welche England während der letzten Jahre mit Deutschland getroffen habe [37].“
Am 15. Februar wurde eine Einigung erzielt. Der neue deutsche Gesandte Speck von Sternburg scheint die entscheidende Wende herbeigeführt zu haben. Am 21. Februar 1903 wurde die Blockade beendet [38]. Die von der deutschen Marine als Sicherheit genommene „Restaurador“ wurde an Venezuela zurückgegeben.
Die Kaiserliche Marine „protzte“ mit Schiffen, die bei genauer Betrachtung im Kern aus einem kurz vor seiner Ausmusterung stehendem Flaggschiff, vier kleinen ungeschützten Kreuzern, einem Kannenenboot und zwei Schulschiffen bestand. „Falke“ hatte 5000 sm den Amazonas bis Peru hinauf und hinab gefahren, ohne Pause nach Haiti geschickt, um direkt im Anschluß an der Blockade teilzunehmen. „Panther“ war zuvor ebenfalls im Einsatz vor Haiti, den von Admiral Killick gestohlenen deutschen Dampfer „Markomannia“ zu befreien. „Gazelle“ stand seit Ankunft in der Karibik ständig unter Dampf. Einige der Schiffe hatten die planmäßigen Überholungsarbeiten nicht ausführen lassen können, was ihre Einsatzfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen hatte. Die Kosten der Marineeexpedition wurden mit Mitteln des ordentlichen Marinehaushaltes abgedeckt und erforderte keinerlei zusätzliche Aufwendungen [39].
Am 13. Februar 1903 wurde das wurde das „Protokoll von Washington“ [40] unterzeichnet.
»Das Protokoll theilt die deutschen Reklamationen in drei Klassen:«
»Die erste Klasse betrifft die Reklamationen der Reichsangehörigen aus den venezolanischen Bürgerkriegen von 1898 bis 1900, die sich auf rund 1 400 000 Mark belaufen… Die venezolanische Regierung hat nunmehr, wie in unserem Ultimatum verlangt worden war, die erwähnten Reklamationen in voller Höhe als berechtigt anerkannt und den Betrag sofort, theils baar, theils in Wechseln mit kurzen Fristen, bezahlt. Von diesen Wechseln ist der erste im Betrage von rund 250 000 Mark pünktlich eingelöst worden, und der letzte am 15. Juli fällig. Für die Einlösung der Wechsel haften die Zolleinkünfte von La Guayara und Puerto Cabello, die sich auf jährlich etwas 15 Millionen Mark belaufen und bei nicht pünktlicher Innehaltung der venezolanischen Zahlungstermine durch belgische Zollbeamte erhoben werden sollen.«
»In der zweiten Klasse gehören die Reklamationen von Reichsangehörigen aus dem gegenwärtigen venezolanischen Bürgerkriege, die Frachtforderungen der deutschen Großen Venezuela-Eisenbahngesellschaft und die Ansprüche deutscher Firmen aus dem Bau eines Schlachthofes in Caracas. Diese Forderungen die auf 4 bis 5 Millionen Mark geschätzt werden, sind im einzelnen einer Prüfung durch die Kaiserliche Regierung noch nicht unterzogen worden… Die Feststellung soll durch eine gemischte Kommission in Caracas erfolgen, deren Zusammensetzung eine Gewähr für die unparteiliche Beurtheilung der erhobenen Ansprüche giebt. Die Sicherstellung der Forderung ist in der Weise bewirkt worden, daß 30 Prozent der Zolleinkünfte von La Guayara und Puerto Cabello, das heißt ein Betrag von jährlich 4 1/2 Millionen Mark zur Befriedigung der Forderngen Deutschlands, Großbritanniens und Italiens sowie gegebenenfalls auch der übrigen Gläubigermächte verwendet werden sollen…«
»Die dritte Klasse endlich bilden die Ansprüche der deutschen Gläubiger aus der 5-prozentigen venezolanischen Anleihe von 1896, die rund 6 1/2 Millionen Mark an rückständigen Zinsen und Amortisationsquoten betragen. Diese Ansprüche sind von der venezolanischen Regierung anerkannt worden und sollen in der Weise befriedigt werden, daß die gesammte auswärtige Schuld Venezuelas unter bestimmter Bezeichnung der für den Schuldendienst zu verwendenden Staatseinkünfte neu geregelt wird.«
Im Jahre 1913 hatte Venezuela die im Protokoll von Washington anerkannten Schulden vollständig bezahlt [41].
Das erfolgreiche deutsch-britische Vorgehen ließ bei den Deutschland feindlich gesinnten Engländern die Alarmglocken ertönen. Die Presse schlug mit vereinten Kräften auf das Deutsche Reich ein. Die Times, die National Revue, Daily News, Daily Telegraph, Daily Expreß und andere Tageszeitungen warfen der brit. Regierung die Zusammenarbeit mit Deutschland auf’s heftigste vor.
Noch gab es in der britischen Regierung eine mächtige Stimme die dieser Pressekampagne entgegentreten konnte.
Lord Balfour, am 12. Februar 1903 in seiner Liverpooler Rede [42]:
»Wir wollen uns eines alten Ideals erinnern, daß nämlich alle die Nationen, die in den vorderen Reihen der Zivilisation stehen, lernen sollten zusammenzuarbeiten, zum Besten der Gesamtheit, und daß nichts der Verwirklichung dieses hohen Ideals mehr im Wege steht, als jene nationalen Bitterkeiten, Eifersüchteleien und Feindseligkeiten.. . . Was Venezuela betrifft, so geht das vorüber. . aber im Hinblick auf die Zukunft bin ich voll Unruhe, wenn ich bedenke, wie leicht es ist, das Feuer internationaler Eifersucht zu schüren, und wie schwer es fällt, es wieder zu stillen.«
Auch The Honourable Edward Stuart-Wortley mußte noch 1908 das von ihm mit Kaiser Wilhelm II. für den Daily Telegraph geführte Interview wie folgt zu beschließen:
»Wenn Sie wie ich den Vorzug genossen hätten, zu hören, wie er diese Worte sprach, würden Sie weder an dem festen Willen des Kaisers zweifeln, im besten Einvernehmen mit England zu leben, noch an seiner wachsenden Ungeduld über das beharrliche Mißtrauen, mit welchem sein Freundschaftsangebot so oft aufgenommen wurde.«
Anhang:
Scheder-Bieschin [43]:
„In den verschiedenen Aufständen, welche gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Vereinigten Staaten von Venezuela heimsuchten, wurden zahlreiche Deutsche schwer geschädigt. Pflanzungen und wertvolle gewerbliche Anlagen hatte man verwüstet, Gelder erpreßt, einem Farmer 3000 Stück Rindvieh ohne Bezahlung weggetrieben. Die venezolanische Regierung hatte die von ihr garantierte Zinsenzahlung für die Beträge eingestellt, die von deutscher Seite für den Bau einer Eisenbahn nach Valencia und den Bau des Schlachthofes in Caracas geliehen waren. Unsere Forderungen beliefen sich bereits im Jahre 1901 auf ungefähr 13 Millionen Bolivars (1 Bolivar = 0,80 M.). Die Lage nicht nur der Deutschen, sondern der meisten in Venezuela lebenden Ausländer wurde besonders unerfreulich, als Ciprian Castro sich zum Präsidenten der Republik aufwarf. Dieser willensstarke und selbstbewußte, aber brutale und rücksichtslose Mann, dem es schmeichelte, der Napoleon Südamerikas genannt zu werden, wies alle Forderungen und Beschwerden schroff ab. Sein Auftreten als Diktator erzeugte auch im eigenen Lande Widestand. Unter der Führung des Generals Matos brach im Jahre 1901 ein Aufstand aus, der bald in einen blutigen Bürgerkrieg ausartete.“
Quellen:
[ 1] Sievers, Wilhelm, Venezuela und die deutschen Interessen, Halle 1903, S. 104f
[ 2] Naval Blockade of Venezuela in 1902: A Historical Approach to Present Events, Orinoco Tribune vom 31.05.2019
[ 3] Mitchell, Nancy, Venezuela Blockade (1902 – 1903), auf www.onlinelibrary.wiley.com, Stand 15.06.2021
[ 4] Naval Blockade of Venezuela, a.a.O.
[ 5] Sievers, Wilhelm, a.a.O., S. 103
[ 6] Scheder-Bieschin, Georg, Die Blockade von Venezuela 1902-03 in Deutsche Maine-Zeitung Nr. 2 – 15.01.1928
[ 7] Naval Blockade of Venezuela in 1902, a.a.O.
[ 8] Farrer, James Anson, Die europäische Politik unter Eduard VII, München 1925, S. 28 bzw. S. 72
[ 9] ebd, S. 36
[10] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 2 – 15.01.1928
[11] Mitchell, Nancy, Venezuela Blockade (1902 – 1903), auf www.onlinelibrary.wiley.com, Stand 15.06.2021
[12] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 3 – 01.02.1928
[13] ebd.
[14] Mitchell, a.a.O.
[15] Ganser, Daniele, Imperium USA, Zürich 2020, S. 112
[16] Mitchell, a.a.O.
[17] Farrer, James Anson, a.a.O., S. 72
[18] Bülow, Bernhard Graf von, Rede in der 287. Sitzung des Reichstages vom 19.03.1903
[19] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 3 – 01.02.1928
[20] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 4 – 15.02.1928
[21] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 3 – 01.02.1928
[22] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 4 – 15.02.1928
[23] Naval Blockade of Venezuela in 1902, a.a.O.
[24] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 4 – 15.02.1928
[25] Mitchell, a.a.O.
[26] ebd.
[27] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 4 – 15.02.1928
[28] Naval Blockade of Venezuela in 1902, a.a.O.
[29] Mitchell, a.a.O.
[30] Sievers, Wilhelm, a.a.O., S. 106
[31] Scheder-Bieschin, Georg,
Deutsche Maine-Zeitung Nr. 6 – 15.03.1928
[32] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 2 – 15.01.1928
[33] Scheder-Bieschin, Georg, Deutsche Maine-Zeitung Nr. 4 – 15.02.1928
[34] Scheder-Bieschin, Georg,
Deutsche Maine-Zeitung Nr. 6 – 15.03.1928
[35] Scheder-Bieschin, Georg,
Deutsche Maine-Zeitung Nr. 8 – 15.04.1928
[36] ebd.
[37] Bülow, a.a.O.
[38] Scheder-Bieschin, Georg,
Deutsche Maine-Zeitung Nr. 9 – 01.05.1928
[39] ebd.
[40] Bülow, a.a.O.
[41] Naval Blockade of Venezuela in 1902, a.a.O.
[42] Balfour zit. nach Schiemann, Theodor, Wie England eine Verständigung mit Deutschland verhinderte, Berlin 1915, S. 11
[43] Scheder-Bieschin, Georg,
Deutsche Maine-Zeitung Nr. 2 – 15.01.1928