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Der Kulturkampf – Vorgeschichte.

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Die Ursache des »Kulturkampfes«.

Ursache des – von den Liberalen zum »Kulturkampf« stilisierten – Konfliktes zwischen dem Staat und der katholischen Kirche bot die aufgrund sich abzeichnender gesellschaftlicher Konflikte erfolgende Gesetzgebung, nach Gründung des Deutschen Reiches 1871 einerseits. Andererseits strebte die katholischen Kirche danach, ihre, im Verlauf der französischen Revolution sowie aufgrund der Herausbildung eines italienischen und deutschen Nationalstaates, verlorene Macht wieder zu erlangen.

Die gemischtreligiöse Ehe einer brandenburgischen Prinzessin und ein nach Berlin geflüchteter Philosoph der Frühaufklärung bescheren dem 1701 gegründeten Königreich Preußen zwei Themen, die bis zum Ende Preußens aktuell bleiben sollten.

Christian Thomasius.

Moritz Wilhelm Herzog von Sachsen Zeitz heiratete am 25. Juni 1689 Prinzessin Maria Amalia von Brandenburg. Damals eine Katastrophe, gehörte der Herzog der evangelisch-lutherischen Kirche und seine Gemahlin der reformistisch-calvinistischen Kirche an.Die Wogen schlugen hoch, die Empörung wurde laut und im Sturm der Entrüstung stand ein Mann an der Seite Moritz Wilhelms: Christian Thomasius.
Thomasius hatte jahrzehnte vor Rousseau seine Lehre vom Naturrecht entwickelt, sich nebenbei für die Trennung von Kirche und Staat ausgesprochen und bis zu dieser schicksalhaften Hochzeit auch in Leipzig lehren können. Durch Verleumdungen selbst in Bedrängnis geraten floh der um sein Leben fürchtende Philosoph der Aufklärung nach Berlin.

Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg übertrug dem wegen seiner politischen Überzeugungen zum Flüchtling gewordenen Thomasius zunächst einen Lehrstuhl an der Ritter-Akademie in Halle (1690), die vom Kurfürsten 1694 in eine Universität überführt wurde. Thomasius eckte auch weiterhin an, seine Schriften wurden in Sachsen konfisziert und in Kopenhagen verbrannt. Am 18. Jan. 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. zum König Friedrich I. in Preußen. Damit beginnt die Geschichte Preußens, eines Staates in dem die Pflege der praktischen Vernunft (von Ausnahmen abgesehen) zur Staatsräson wurde.

„Dem Wissen, der Forschung, der Vernunft
und der nüchternen Erkenntnis des Intelligenten
steht der Intellektualismus gegenüber
mit seiner Ideologie, Rhetorik, mit seiner Realitätsferne
und seinen Vorurteilen [ 1].“

Grundgedanke des Christian Thomasius (1655-1728)

Thomasius wurde 1710 zum Geheimrat ernannt. Er folgte Stryk als Direktor der Friedrichs Universität und als Dekan der Juristischen Fakultät. Er war der erste, der seine Seminare in deutscher Sprache abhielt. Sein Einfluß bewog den jungen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. mit der Hexen- und Ketzerverfolgung Schluß zu machen: »Wir seynd auch durch erhebliche Umstände bewogen worden, zu resolviren, daß die noch vorhandene Brand Pfähle, woran Hexen gebrandt seyn, weggenommen werden sollen«, so König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1728, 81 Jahre bevor das katholische Bayern die Brandpfähle abschaffte [ 2].

Jedem nach seiner Fasson!

Von Friedrich dem Großen stammt das Wort:

»Ein jeder solle nach seiner eigenen Fasson [Anschauung]
glücklich werden«.

Die Bevölkerung Preußens setzte sich aus Menschen vieler Glaubensrichtungen zusammen. Das war schon zu Zeiten des Großen Kurfürsten so, der der Bevölkerung Religionsfreiheit gewährte und andere deutsche Fürsten aufforderte es ihm gleich zu tun. Der innere Friede des Landes wurde durch die gewährte Religionsfreiheit nicht beeinträchtigt.
Das änderte sich nicht, als die preußischen Fürsten die in Frankreich verfolgten Hugenotten aufnahmen, die Salzburger Protestanten oder die in Wien verfolgten Juden. 30% der preußischen Bevölkerung zu Zeiten Friedrichs des Großen waren Nachfahren der wegen ihrer Religion verfolgten Menschen [ 3].
Das funktionierte nur, weil Preußen die Einhaltung der die Religionsfreiheit garantierenden Gesetze zu garantieren vermochte.

Die französische Revolution.

In Frankreich entwickelte sich ab 1790 die Gestaltung der Revolutionsfeste unter dem Einfluß von Rousseau, David und Quatremère de Quincy zu einem Kult der Vernunft. Bis zum 25. Nov. 1793 wurden alle Kirchen in Paris der Vernunft geweiht. Die von dem Nationalrat beschlossene Religionsfreiheit blieb unumstritten.
Am 9. Nov. 1799 stürzte Napoleon das Direktorium [ 4]. Nach dem Tod Robespierres 1801 schloß er mit Papst Pius VII. ein Konkordat, in dem der Katholizismus als Religion der Mehrheit der Franzosen bestätigt wurde. Der Vatikan verzichtete auf eine Entschädigung für enteignete Kirchengüter.
Der Erste Konsul Frankreichs ernannte die Bischöfe, der Papst hatte die Ernennungen zu bestätigen. Die Gehälter von Priestern und Bischöfen wurden vom Staat bestritten. Die im April 1802 erlassenen Articles organiques unterstellten die Kirchen der staatlichen Hoheit. Die vollständige Kommunikation der katholischen Kirche Frankreichs mit der Kurie lief über staatliche Stellen.
Kein Konzil konnte ohne Genehmigung des Staates von den Bischöfen einberufen werden. Am 2. Dez. 1804 krönte sich Napoleon mit dem Segen des Papstes zum Kaiser und die in einer katholischen Zeremonie geehelichte Joséphine zur Kaiserin. 1809 ließ Napoleon den Kirchenstaat besetzen und den Papst gefangen nehmen [ 5].

Die Herrschaft Kaiser Napoleon I. währte bis 1815, sein Gesetzeswerk, die »Articles organiques« überlebten ihn, zumindest in Preußen, dessen Territorium sich infolge des Krieges um die katholischen Rheinprovinzen und das katholische Posen erweiterte. Die Macht auf dem Kontinent reklamierte jedoch Österreich für sich, dessen gut katholischer Kaiser ab sofort mit Frankreich und Bayern um die Gunst des Papstes wetteiferte.
Papst Gregor XVI. berief 1836, den sich bei der Inthronisation Karls X. besonders verdient gemachten, Lambruschini zum Staatssekretär und den umtriebigen holländischen Konvertit Roothaan zum Chef der Jesuiten[ 6].

Preußisches Landrecht und die Organischen Artikel.

Friedrich Wilhelm III. führte 1804 die bürgerliche Trauung in Preußen ein. Die preußischen Reformen, Säkularisierung, Bildungs- und Sozialpolitik und das 1827 verfügte Verbot der Jesuiten sollte vom Heiligen Vater in Rom nicht lange geduldet werden. 1820 beauftragte Friedrich Wilhelm III. den preußischen Gesandten in Rom mit der Kurie Verhandlungen über die Stellung der Katholischen Kirche in den neuen preußischen, katholisch geprägten Landesteilen (die Rheinprovinzen und Posen) zu führen. Man einigte sich über die Grenzziehung der Bistümer und den Modus der Wahl der Bischöfe. Im Osten sollten die Bischöfe wie zuvor in einer Scheinwahl bestimmt werden, bei der der Krone eine entscheidende Rolle zu kam. Die westlichen Bistümer und das Bistum Breslau erhielten ein freies Wahlrecht, sollten aber durch ein Breve des Papstes dazu verpflichtet werden, sich vor der Wahl zu versichern, einen dem König genehmen Geistlichen zu wählen. Der König von Preußen erhielt das Recht einen ihm nicht genehmen Kandidaten von der Wahl auszuschließen. Im Gegenzug für das Entgegenkommen der Kurie, erhielten die Bistümer die über die Säkularisierung der Kirchengüter gewonnenen Reichtümer, soweit noch vorhanden, zurück. Hinzu kam ein staatlicher Zuschuß an die kathol. Kirche der sich bis zum Jahre 1840 auf jährlich 712000 Taler erhöhte. Die fünfmal größere evangelische Kirche erhielt dagegen nur 240000 Taler. Am 25.3.1821 wurde der Vertrag unterzeichnet [ 7].

Dies Abkommen tangierte in keiner Weise die im Preußischen Landrecht und in den Organischen Artikeln Napoleons definierte Rechtsgrundlage, nach der die Staatsbehörden (gemäß der Articles organiques) allein den amtlichen Verkehr zwischen dem Heiligen Stuhl und den Bischöfen vermittelten; sie hatten alle kirchlichen Schriften zu zensieren und die Aufsicht über alle kirchlichen Unterrichtsanstalten und ihrer Zustimmung bedurfte es zur Gründung eines geistlichen Ordens [ 8].

Trauung gemischtreligiöser Paare.

Es war jedoch nicht gelungen, mit dem Heiligen Stuhl eine Vereinbarung über gemischtgläubige Eheschließungen zu finden, deshalb schloß der König unter Mithilfe des Erzbischofs Spiegel mit allen katholischen Bischöfen ein geheimes Abkommen, das fortan bei den Eheschließungen Anwendung fand.
Spiegel starb 1835 und sein Nachfolger Droste tat so als wäre ihm diese Abmachung nicht bekannt.
Papst Gregor XVI. verdammte den in den Rheinprovinzen vorherrschenden Hermesianismus in einem Breve als ketzerisch. Die auf Georg Hermes (1775-1831) zurückgehende Lehre, vertrat eine durch Kants kritische Philosophie angeregte Erkenntnistheorie, die so angelegt war, daß sie mit einer gewissen Notwendigkeit auf den katholischen Glauben hinführte.
Droste schloß das seinem Vorgänger Spiegel nahestehende Bonner Konvikt der Hermesianer und besetzte die Stellen in seiner Umgebung mit ihm ergebenen Gefolgsleuten. Der Papst verurteilte zudem die in Preußen geübte Praxis der Trauungen gemischt gläubiger Ehepartner und verdammte die katholischen Bräute sich von den Priestern anhören zu müssen, eine Todsünde zu begehen, wenn sie einen Protestanten heirateten.

Friedrich Wilhelm III. blieb unbeeindruckt und beharrte auf dem status quo.

Die Jungfrau rettet den Papst vor den Demokraten.

Papst Gregor XVI. starb und ihm folgte Papst Pius IX. (Mastei-Ferretti) auf dem Heiligen Stuhl. Vor der römischen Revolution 1848 konnte Papst Pius IX. mit Hilfe des bayrischen Gesandten in Rom, Karl von Spaur, nach Gaeta (Neapel) fliehen. Der Plan einen italienischen Bundesstaat unter Führung des Papstes zu gründen scheiterte. Am 24. April 1849 marschierten österreichische und französische Soldaten nach Rom, besetzten die Stadt und verhalfen Pius IX. zu seinem „späten“ Pontifikat [ 9].

Das war geprägt von der unbefleckten Empfängnis. Der uralte Streit zwischen den Dominicanern einerseits und den Jesuiten und Franziscanern auf der anderen Seite wurde im Dez. 1858 zugunsten der Jesuiten bzw. Franciskanern entschieden. All jenen die andere Ansichten hegten, drohte der Papst empfindliche Strafen an. Zweiflern in den eigenen Reihen ließ der Papst wissen: In seinen Entscheidungen offenbare sich die souveräne Macht des Heiligen Stuhls über die Kirche und die Unfehlbarkeit mit der Christus seinen Nachfolger Pius IX. ausgestattet habe [10].

Friedrich Wilhelm IV.

Auf dem Thron Preußens folgte im Jahre 1840 König Friedrich Wilhelm IV. Die von Friedrich Wilhelm III. 1815 erlassene Verfügung zur Trennung von Kirche und Staat gab der neue König ohne Not auf. 1848 schränkten die Liberalen die Staatsgewalt ein, um ihre Vorstellung von Religionsfreiheit durchzusetzen. In der Volksvertretung ließen sie den Passus: »die bestehenden Kirchen verwalten ihre inneren Angelegenheiten selbständig« als Grundrecht festschreiben.

Der preußische Träumer Friedrich Wilhelm IV. beseelt vom Bestreben alle Christen zu einen kam der katholischen Kirche nahezu bis zur Selbstaufgabe entgegen [11].

♦ Der Klerus übernahm die Leitung der Volksschulen.
♦ Gymnasien wurden nach christlichem Bekenntnis gesondert betrieben.
♦ Der König verzichtete auf die Mitwirkung zur Besetzung von Pfarrstellen.
♦ Die kirchlichen Orden und Corporationen blieben ohne jegliche staatliche Aufsicht.
♦ Die 25 Jahre lang geübte Teilnahme an der Verwaltung des Kirchenvermögen wurde aufgegeben.
♦ Der Jesuiten-Orden breitete sich ungehindert über Norddeutschland aus.

1841 wurde durch Friedrich Wilhelm IV. eine katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium gegründet. Hier schlichteten kirchentreue Katholiken die Streitfälle mit der katholischen Kirche [12].

Österreich rückwärtig vorne.

1855 schloß der österreichische Kaiser Franz Joseph mit dem Papst ein Concordat, in dem er das kanonische Recht zum geltenden Recht in all seinen Ländern machte. Damit akzeptierte er tatsächlich die Befugnis des Papstes Könige zu lenken und sie ggf. abzusetzen. Die Bischöfe erhielten die Herrschaft über die Schulen, die Literatur und konnten über ihr Vermögen von 200 Mio. Gulden ohne jegliche Einschränkung verfügen. Die Rechte von Protestanten und Juden wurden eingeschränkt [13].

Der Papst wird unfehlbar.

1861 wurde das Königreich Italien gegründet. Der Kirchenstaat verlor im Zuge dessen 2/3 seines Staatsgebietes. Der Papst sorgte dafür Kaiser Napoleon III. zu verprellen. Frankreich zog die zum Schutz des Heiligen Stuhls in Rom stationierten Truppen ab. Mit Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 wurde das Ende Österreichs Herrschaft über Deutschland eingeläutet. Gegen den damit verbundenen Verlust weltlicher Macht ging der Papst mit allen ihm verbliebenen Mitteln vor.

Am 8. Dez. 1864 verdammte Papst Pius IX in einer Encyclica 88 „Irrthümer“, wie z.B. die Religionsfreiheit, die Pressefreiheit, die Freiheit philosophischer Forschung, Kindererziehung durch Laien. Vor allem verdammte er aber die Ansicht, er hätte auf die weltliche Macht und die Anwendung von Gewaltmittel zu verzichten [14].

Am 18. Juli 1870 verkündet Papst Pius IX. die Unfehlbarkeit des Papstes.

Quellen:
[ 1] Bödecker, Ehrhardt, Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, Rottenburg 2018, S. 128
[ 2] ebd., S. 131
[ 3] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Erster Teil, Leipzig 1927, S. 27ff
[ 4] Französische Revolution und Religion auf www.univie.ac.at aufgerufen am 20.6.2019
[ 5] Leick, Romain, Trikolore über der Engelsburg, SPIEGEL GESCHICHTE 4/2012, S. 105f
[ 6] Treitschke, Heinrich von, a.a.O., S. 670
[ 7] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Dritter Teil, Leipzig 1927, S. 201f
[ 8] ebd., S. 203
[ 9] Hungs, Damian, Papst Pius IX. auf www.damian-hungs.de aufgerufen am 16.6.2019
[10] Sybel, Heinrich von, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Band 7, Paderborn 2012, S. 100f
[11] ebd., S. 98f
[12] Gall, Lothar, Bismarck, Berlin 2008, S.551
[13] Sybel, Heinrich von, a.a.O. S. 101
[14] ebd., S. 102f