Der Krimkrieg von 1853.
Weliki Nowgorod – Die Wiege Rußlands und des orthodoxen Glaubens
Seit Anbeginn des russischen Reiches kam dem Zugang zum Schwarzen Meer eine existentiell wichtige Bedeutung zu. Über Nowgorod führte der Wasserweg der Wikinger ins Kaspische Meer und ins Schwarze Meer und die Wikinger (Waräger) trugen zur Herausbildung des russischen Staates maßgeblich bei.
Im Jahre 862 bildeten die Häuptlinge der slawischen und finno-ugrischen Völker, die im weiten Gebiet des Ilmensees (Nowgorod) siedelten, einen Staat. Zur Erfüllung der Gerichts- und Rechtsschutzaufgaben wählten sie den skandinavischen Fürsten Rjurik. Das als Berufung der Waräger bezeichnete Ereignis und die hiermit einhergehende Ausbildung von Staatsgrenzen der Rus, gelten als Geburtsstunde des russischen Staates.
Etwa zeitgleich eignete sich im Süden der Waräger Askold das Fürstentum Kiew an, das 882 vom Nowgoroder Fürsten Oleg (Helgi) erobert wurde. Beide Gebiete vereint bildeten fortan den Kiewer Rus [ 1][ 2].
Enge Handelsbeziehungen mit Byzanz führten im Jahre 988 dazu, daß die Rus von dem Fürsten Wladimir nach byzantinischem Muster christianisiert wurde. Die zunächst von byzantinischen (griechisch-orthodoxen) Metropoliten geführte Kirche erhielt im Jahre 1448 erstmals ein russisches Oberhaupt und sah sich, nach dem Untergang des Byzantinischen Reiches, als Wahrer des christlichen Glaubens [ 3].
Ausbruch des Krimkrieges.
Die Kriege gegen das osmanische Reich begleiteten die gesamte russische Geschichte und blieben eine feste Größe im Poker um die Welt. Eine Karte im selben Spiel ist Polen. 1831 organisierte der polnische Adel einen Aufstand gegen Nikolaus I. der in Personalunion Rußland und Polen regierte [ 4].
Erklärtes Ziel war die «Wiederherstellung» eines «von Meer zu Meer» reichenden Polens unter Einschluß Litauens, Weißrusslands und der West-Ukraine. Die Polen hofften vergeblich auf westeuropäische Unterstützung. 1835 wurde der Aufstand niedergeschlagen und Polen von Rußland annektiert.
1774 trotzten die Russen den Osmanen die Patronage über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich ab. In den 1850er Jahre spitzten sich die Streitereien zwischen Franziskanern und griechisch-orthodoxen Mönchen in einer Weise zu, die nicht selten zu Handgreiflichkeiten führten.
Der britische Economist redete am 21.1.1854 einem Kulturkampf das Wort, indem der ‚freie westeuropäische Bürger‘ gegen den ‚unterwürfigen asiatischen Menschenschlag‘ stände. Mit von der Partie war der Erzbischof von Paris, der zum Heiligen Krieg gegen die orthodoxe Kirche aufrief, freilich Seit‘ an Seit‘ mit den Muslimen des Osmanischen Reiches [ 5].
Dank des britischen Botschafters Stratford Canning eskalierte Sultan Abd ul-Meschid 1852 die Streitereien und erlaubte der römisch-katholischen Kirche am Ölberg die Heilige Messe lesen zu lassen. 1853 forderte Rußland die Osmanen ultimativ auf, die 1774 gewährte Patronage zu bestätigen, was vom Sultan abgelehnt wurde, lagen doch (Überraschung?) die Flotten Englands und Frankreichs einsatzbereit vor Tenedos (Dardanellen).
- Der britische Export in die Türkei hatte zwischen 1825 und 1852 um 800 Prozent zugenommen. Das Land war zum Hauptabnehmer englischer Industrieprodukte geworden [ 6].
- Der im Dezember 1851 mit dem Segen des Papstes an die Macht geputschte Napoleon III., suchte sich das Wohlwollen der Katholischen Kirche Frankreichs zu erhalten und gerierte sich noch als Verteidiger der katholischen Interessen.
- Österreich, das 1831 nur Dank der militärischen Hilfe Rußlands den Aufstand in Ungarn überleben konnte, begeht unter maßgeblicher Mithilfe des neuen Außenministers Graf Buol-Schauenstein politischen Selbstmord, indem es seine Truppen gegen Rußland in Stellung bringt [7].
Der Kriegsverlauf.
Um den politischen Forderungen Rußlands Nachdruck zu verleihen besetzt Fürst Gortschakow mit einem russ. Korps die Donaufürstentümer Walachei und Moldau als Pfand, woraufhin die Pforte Russland den Krieg erklärt. Nachdem das brit.-franz. Geschwader zum Schwarzen Meer aufgebrochen war, versenken die Russen am 30. Nov. ein türk. Geschwader im Hafen von Sinope.
Die westlichen Staaten stellen Russland ein Ultimatum, das unbeantwortet blieb.
Karfreitag 1854 wurde Odessa beschossen. Am 31. Mai landen Briten und Franzosen in Varna und zwingen die russischen Truppen hinter die Pruth. Am 26. Juni erscheinen 20 englische Kriegsschiffe vor Kronstadt [ 8]. Die britische Flotte beschießt Orte an der Ostseeküste, am Weißen Meer und am Stillen Ozean. Im September landen Franzosen und Engländer auf der Krim. Sewastopol wird eingeschlossen. Unter dem Kommando Admiral W. A. Kornilows und P. S. Nachimows wurde unter Leitung des Ingenieuroffiziers und späteren Generals Eduard von Totleben die Stadt befestigt. Hierdurch gelang es den von Nachschub und Verstärkung abgeschlossenen Truppen Sewastopol 11 Monate lang gegen die Angreifer zu verteidigen. Am Ende hatten 165 000 Soldaten ihr Leben eingebüßt [ 9].
Dies, der Aufmarsch von 300 000 Österreichern an der russischen Grenze und die etwa zeitgleiche Einnahme der türkischen Bastion Kars durch russische Einheiten bewogen die Kriegsparteien die Schlacht auf das diplomatische Parkett zu verlegen.
Die preußische Position.
Friedrich Wilhelm IV. ließ bei Thronbesteigung den letzten Willen seines Vaters und einen ihm beigefügten Brief an den Thronfolger veröffentlichen. Konkret wurde Friedrich Wilhelm III. nur in einem Punkt [10]:
»Verabsäume nicht, die Eintracht unter den Europäischen Mächten, so viel in Deinen Kräften, zu befördern; vor allen aber mögen Preußen, Rußland und Oesterreich sich nie von einander trennen; ihr Zusammenhalten ist als der Schluß-Stein der großen Europäischen Allianz zu betrachten.«
Gegen die vom liberalen Wochenblatt geschürte Kriegsstimmung [A], die auch in Preußen um sich zu greifen drohte, konnte Friedrich Wilhelm IV. seine Haltung durch glasklare Argumente durchsetzen [11]:
Er verwies auf die Unruhen in Polen und auf die hierdurch gegebene Bedrohung Posens.
»Eine jede Bewegung würde die Provinz in die Hände Rußlands spielen. Ich bin den Kaiser von Rußland mit flehentlichen Bitten angegangen, damit er in keinem Falle, was auch geschehen möge, einschreite, und Ich habe die Versicherung erhalten, daß er dies vor der Hand nicht thun und der Entwickelung Deutschlands keine Hindernisse in den Weg legen wolle. Auf das Wort dieses Kaisers kann Ich Mich fest verlassen… «
Dieser Kaiser war sein Schwager, der Gatte der Charlotte von Preußen, jetzt Kaiserin Alexandra von Rußland [12]. Preußen repräsentiert damit die Haltung aller deutschen Fürsten mit Ausnahme des Kaisers von Österreich [13]. Österreichs Verdienst ist es, die Eintracht Preußens, Rußlands und Oesterreichs im Dienste einer friedvollen Europäischen Allianz hintertrieben zu haben [B].
Österreichs Krimpolitik – ein Debakel.
Der österreichische Außenminister Buol-Schauenstein verbündete sich mit dem ehemaligen französischen Bürgerpräsidenten, dem selbsternannten Kaiser Napoleon III. Österreich sandte mit Genehmigung der Pforte und einer von England erbetenen Erlaubnis, die besagten 300 000 Mann in die beiden osmanischen Fürstentümer Walachei und Moldau.
Diese politische Fehlleistung läßt sich rational, wenn überhaupt, nur durch die Überschätzung der eigenen weltpolitischen Stellung verstehen. Statt des Kalküls in den Pariser Friedensverhandlungen eine neue europäische Ordnung mitbestimmen zu können, fand man sich am Katzentisch der Diplomatie wieder.
Rußland hatte Österreichs Bemühungen um eine Mitteleuropäische Zollunion auf der Dresdner Konferenz 1850/1851 abgelehnt. Frankreich tat übrigens das selbe. Diese Zollunion hätte der aggressiven britischen Wirtschaftspolitik einen Riegel vorschieben können, was angesichts der von Österreich selbst gepflegten Zollpraxis allerdings nicht zu befürchten war [12].
Österreich verspielte, bei seinem Versuch die preußisch-russischen Beziehungen zu untergraben, um seine Hegemonie – nachdem sie bereits in Italien verloren war – in Deutschland zu bewahren, 1854/55 bei Rußland jenen Kredit, der, dem ersten Weltkrieg zu entgehen, notwendig gewesen wäre [13].
Österreich hatte bei Frankreich, das mit den Kriegen um Norditalien zum Kriegsgegner wurde, nie einen Kredit genossen und trotz aller Anbiederungsversuche, bestand keinerlei Aussicht – aufgrund der katastrophalen innenpolitischen Verhältnisse in Frankreich, die nur Dank des Druckes einer imaginären Bedrohung aus dem Osten (Deutschland) halbwegs kontrollierbar waren – einen solchen jemals zu erwerben.
Österreich drohte 1849 dem Dreikönigsbündnis Hannover-Sachsen-Preußen mit Krieg und disqualifizierte sich somit für die Rolle einer deutschen Präsidialmacht, die beizubehalten mit einem Starrsinn verfolgt wurde, der Österreich isolierte, ihm jeden außenpolitischen Handlungsspielraum nahm und es letztendlich aus dem Bund deutscher Staaten hinauskatapultierte.
Der Pariser Frieden.
Kaiser Nikolaus I. starb am 18. Februar 1855. Sein Nachfolger Kaiser Alexander II. unterschrieb im März 1856 in Paris einen Friedensvertrag und weitere Vereinbarungen, die die Unabhängigkeit und Integrität des Osmanischen Reiches garantieren sollten.
Das Schwarze Meer wurde neutralisiert. Russland durfte dort weder eine Kriegsflotte unterhalten, noch eine Festung besitzen [14]. Als Trostpflaster erhielt Rußland das Angebot in Villefranca (Sardinien-Piémont) einen Flottenstützpunkt einzurichten [15]. England und Frankreich konnten ungestört die Türkei mit ihren Waren überfluten bis das Land 1875 Bankrott anmeldete und das Gros seiner Einnahmen zur Disposition des Conseil d’Administration de la Dette Publique (einer von den Repräsentanten der großen Banken gesteuerte Treuhandanstalt) legen mußte.
So blieb die Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches gewahrt!
Anhang:
[A] Bismarck in Bnd. I seiner Erinnerungen: »Die später nach Bethmann-Hollweg benannte Partei, richtiger Coterie, stützte sich ursprünglich auf den Grafen Robert von der Goltz, einen Mann von ungewöhnlicher Befähigung und Thätigkeit. Herr von Manteuffel hatte das Ungeschick gehabt, diese strebsame Capacität schlecht zu behandeln; der dadurch stellungslos gewordne Graf wurde der Impresario für die Truppe, welche zuerst als höfische Fraction und später als Ministerium des Regenten auf der Bühne erschien. Sie begann in der Presse, besonders durch das von ihr gegründete »Preußische Wochenblatt«, und durch persönliche Werbungen in politischen und Hofkreisen sich Geltung zu schaffen. Die »Finanzirung«, wie die Börse sich ausdrückt, wurde durch die großen Vermögen Bethmann-Hollweg’s und der Grafen Fürstenberg-Stammheim und Albert Pourtalès, und die politische Aufgabe, als deren Ziel zunächst der Sturz Manteuffel’s gestellt war, von den geschickten Händen der Grafen Goltz und Pourtalès besorgt [16].«
»In Frankfurt, wo zur Zeit des Krimkriegs die übrigen Bundesstaaten außer Oestreich versuchsweise verlangten, daß Preußen sie der östreichisch-westmächtlichen Vergewaltigung gegenüber vertrete, konnte ich als Träger der preußischen Politik mich einer Beschämung und Erbittrung nicht erwehren, wenn ich sah, wie wir gegenüber den nicht einmal in höflichen Formen vorgebrachten Zumuthungen Oestreichs jede eigne Politik und jede selbständige Ansicht opferten, von Posten zu Posten zurückwichen, und unter dem Druck der Inferiorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England, im Schlepptau Oestreichs Deckung suchten. Der König war nicht unempfänglich für diesen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn durch eine Politik im großen Stile abzuschütteln[17].«
Anmerkung: Der große Stil bedeutete, die deutsche Einheit auf militärischem Weg zu sichern.
[B] Bismarck in Bnd. II seiner Erinnerungen: »Eine weltgeschichtliche Entscheidung in dem Jahrhunderte alten Kampfe zwischen den beiden Nachbarvölkern stand auf dem Spiele und in Gefahr, durch persönliche und vorwiegend weibliche Einflüsse ohne historische Berechtigung gefälscht zu werden, durch Einflüsse, die ihre Wirksamkeit nicht politischen Erwägungen verdankten, sondern Gemüthseindrücken, welche die Redensarten von Humanität und Civilisation, die aus England bei uns importirt werden, auf deutsche Gemüther noch immer haben; war uns doch während des Krimkriegs von England aus nicht ohne Wirkung auf die Stimmung gepredigt worden, daß wir »zur Rettung der Civilisation« die Waffen für die Türken ergreifen müßten[18].«
Bismarck in Bnd. II an anderer Stelle: »Der Kaiser Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung Manteuffel’s nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Präliminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oestreich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russischen »Gesellschaft« beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Einfluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich knüpften [13].«
Der bis zum 9. Oktober in Potsdam weilende Nikolaus I. hatte mit Manteuffel, wie der am 10. Oktober an den Grafen Hatzfeld nach Paris schrieb, »zwei lange Unterredungen gehabt, welche nicht zu den angenehmsten Vorkommnissen meines Lebens gehören« und in deren Verlauf Manteuffel den Willen Preußens zur Neutralität im russisch-türkischen Konflikt nachhaltig betont hatte… [10]
Quellen:
[ 1] Rimscha, Hans von, Geschichte Russlands, Darmstadt, 1970, S. 12ff.
[ 2] Weliki Nowgorod – Wiege Russlands auf http://visitnovgorod.de abgerufen am 4.6.2017
[ 3] Rimscha, Hans von, a.a.O., S. 25ff
[ 4] ebd. S. 473f
[ 5] ebd. S. 469
[ 6] Fesser, Gerd Krimkrieg: Europas erstes Verdun in DIE ZEIT 07.08.2003 Nr.33
[ 7] Prieschl, Martin Der Weg nach Solferino auf https://www.oemz-online.at abgerufen am 3.6.2017
[ 8] Butenschön, Marianna, Die Preußin auf dem Zahrenthron, München, 2014, S. 318
[ 9] Fesser, Gerd , a.a.O.
[10] Hg.: Herbig, Friedrich Ludwig , Reden und Trinksprüche Friedrich Wilhelm des Vierten, Leipzig 1855, S. 5
[11] ebd. S. 6
[12] Protokolle des Preußischen Staatsministeriums, Bd. 4/1, Hildesheim, Zürich, New York 2003, S. 299
[13] Bismarck, Otto von, Gedanken und Erinnerungen. Vollständige Ausgabe in einem Band, Stuttgart, 1959, S. 60ff.
[14] Prieschl, Martin, a.a.O.
[15] Bismarck, Otto von, a.a.O. S. 319
[16] Fesser, Gerd , a.a.O.
[17] Butenschön, Marianna, a.a.O., S. 327
[18] Bismarck, Otto von, a.a.O. S. 79
[19] ebd. S. 81f.
[20] ebd. S. 353