Preußen fand sich nach den Befreiungskriegen als ein Staat wieder, in dessen alten Provinzen noch 67 verschiedene Tarife mit nahezu 3000 Warenklassen galten; die kursächsische Generalaccise im preuß. Herzogthum Sachsen, das schwedische Zollwesen in Neuvorpommern und in den Rheinlanden diesbezüglich die blanke Anarchie [ 1].
Die Schaffung eines einheitlichen Zollgebietes tat not.
Dabei kamen Preußen zwei glückliche Umstände zu Hilfe: 1. Der Staat hatte kein Geld und 2. die Außengrenzen Preußens hatten eine Länge von 8082 km. Schnell war klar, daß man kein Geld zum Aufbau einer größeren Zollbehörde hatte.
Bis dahin herrschte in Europa ein System von Schutzzöllen. Ein Staat errichtete Zollschranken, deren Abbau als Verhandlungsmasse zur Erlangung politischer Vorteile genutzt wurden. Preußen suchte eine pragmatische Lösung, die dem Land mit geringem Aufwand größtmöglichen Gewinn versprach.
Der Mann der diesen Geniestreich führen sollte, war Karl Georg Maaßen. Grundlage der Zollberechnung sollte nicht der Wert einer Ware sein, sondern deren Gewicht.
Im Zollgesetz von 1818 war die Einfuhr von Salz und Spielkarten verboten;
auf Rohstoffe wurde ein geringer oder überhaupt keinen Zöll erhoben; auf Manufakturwaren sollten mäßige Schutzzölle (um die 10%) erhoben werden;
auf Kolonialwaren konnte man bis zu 20 Prozent erheben, da die leicht zu bewachende Seegrenze die Durchsetzung eines erhöhten Zolls zuließ.
Der Kritik inländischer Fabrikanten an den niedrigen Zöllen kam der König 1819 mit der Erlaß eines Gesetzes entgegen, das inländische Erzeugnisse mit Ausnahme von Wein, Bier, Branntwein und Tabak, steuerfrei stellte.
Die im Zollgesetz von 1818 gültigen niedrigeren Tarife für die westlichen Provinzen, wurden bei der Revision des Zollgesetzes 1821 aufgehoben [ 2].
Die Verabschiedung des Zollgesetzes rief 1818 einen Sturm künstlicher Empörung hervor. Der Wiener Kongreß war noch im Gange. Zur Schwächung von Preußens Position nutzte die österreichische Partei auch die fadenscheinigsten Vorwände [ 3].
Treitschke: Die Höfe beschlossen insgeheim, auf den Wiener Konferenzen mit vereinter Kraft die Aufhebung des preußischen Zollgesetzes durchzusetzen; nur wenn der vorhandene Anfang deutscher Zolleinheit vom Erdboden verschwand, konnte der Bundestag die nationale Handelspolitik begründen!
Die von Hardenberg verantwortete Zollpolitik wurde auch nach dessen Tod 1823 von König Friedrich Wilhelm III. fortgesetzt, der kontinuierlich und konsequent den Widerstand der deutschen Staaten aufzulösen vermochte und mit der Gründung des Deutschen Zollvereins die Grundlage zur Einigung Deutschlands schuf [ 4].
Daß Friedrich Wilhelm III. diesen Weg beschreiten konnte, verdankt er Maaßens Zollgesetz und Friedrich Christian Adolph von Motz. Wen wundert es, daß der König von Preußen, so kurz nach Hardenbergs Tod einen Mann zum Finanzminister berief, der sich mit Leib und Seele den Hardenberg-Steinschen Reformen verschrieben hatte.
Motz machte auf sich aufmerksam, als er, als Regierungs-Präsident von Magdeburg, den notleidenden Bauern mit den Worten: »…lieber die drückendsten Luxusauflagen, lieber wie Pitt alle Elemente besteuern, als den Schweiß des Landmanns belasten.« unter die Arme griff [ 5].
Ein weiterer Grund für den König sich für Motz zu entscheiden, war dessen ungeschminkte Analyse der Mißstände im Finanzministerium:
Er forderte für den Finanzminister Sitz und Stimme in der Generalkontrolle (d.h. eine Beschneidung der Befugnisse des Staatskanzlers!), freie Hand bei der Auswahl seiner Räte und die Zentralisation des Kassenwesens.
Er verlangte die Aufstellung völlig zuverlässiger Etats und plädierte gegen die Wiedereinführung der Provinzialministerien, die die Position des Finanzministers schwächten. Der Finanzminister müsse unmittelbar an der Verwaltung teilnehmen, um »unverbesserliche Mißgriffe, Einseitigkeit und Indolenz« zu verhüten »…er kann nicht darauf beschränkt bleiben, durch Etats und Verwaltungsnormen nur die Zukunft nach seinen Ansichten zu regeln; auch kann es ihm nicht helfen, die Vergangenheit nach toten Zahlen zu meistern [ 6] «.
Jemand der das königlich preußische Finanzministerium derart kritisierte mochte den König an die seinerzeit von Stein geübte Kritik an der preußischen Staatsregierung erinnert haben. Motz krempelte das Finanzministerium um, reformierte das Steuerrecht und bestimmte die sich letztlich als erfolgreich erwiesene Strategie zur Bildung des Deutschen Zollvereins, dessen solide Basis und Ausformung er den außerordentlichen Fähigkeiten Maaßens verdankte [ 7].
Es nimmt nicht Wunder, daß Motz, ein erklärter Feind Metternichs, in Wittgenstein einen heftigen Gegner fand und sofern man die Person des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. vorurteilsfrei beurteilen möchte, nimmt es auch nicht Wunder, daß der „Emporkömmling“ das Vertrauen des Königs in einem Maße genoß, dem selbst Wittgenstein nichts entgegensetzen konnte. Motz wies drei Jahre nach seinen spektakulären Änderungen im Finanzwesen dem König anstatt der befürchteten neuen Schulden einen Überschuß von 4,4 Mio. Thalern aus [ 8].
Die übrigen deutschen Bundesstaaten ließen nichts unversucht, die preußischen Bestrebungen zu Fall zu bringen. Einerseits profitierte der eine oder andere Kleinstaat vom Schmuggel, Hannover sah zu Recht die englischen Interessen, seine Waren in Deutschland ungehindert absetzen zu können, bedroht und Österreich bangte zu Recht um seine Vormachtstellung. Da man auf dem Wiener Kongreß einen Deutschen Bund geschaffen hatte, der nicht befugt und fähig war, ein gesamtdeutsches Zollsystem zu begründen, suchte man nun in zahllosen Konferenzen einen Weg, sich auf ein gemeinsames Zollsystem zu einigen, um dem allen zum Beitritt offen stehenden Zollsystem Preußens etwas entgegensetzen zu können [ 9] [10].
Die erste dieser Konferenzen fand in Darmstadt statt, eine Plattform divergierenden Irrsinns, dessen heilsames Resultat darin bestand, daß der Großherzog von Hessen (Darmstadt) mit Preußen in Verhandlungen zur Gründung eines Zollvereins trat. Preußen zögerte zunächst, da der Verein nicht zur Verkleinerung der Grenzen des Zollgebietes beitrug und der Verlauf der Handelsströme Preußen ebenfalls keinen Gewinn versprach. Wenn, so sollte das Großherzogtum Hessen nur mit Kurhessen gemeinsam aufgenommen werden. Kurhessen, eigentlich nur der Kurfürst, betrieb gemeinsame Sache mit Hannover und hätte lieber die Demokratie in seinem Lande eingeführt als mit Preußen einen Zollverein zu bilden.
Am 14. Febr. 1828 kam es dessen ungeachtet zur Gründung des hessisch (Darmstadt) preußischen Zollvereins. Preußen gewährte Hessen gleiches Stimmrecht bei Abänderungen der Zollgesetze und eine selbständige Zollverwaltung, wenn auch nach preußischem Muster. Die gemeinsamen Zolleinnahmen verteilte man entsprechend der Einwohnerzahl [11][12].
Bereits 1822 hatte sich die Enklave Sondershausen und im Sommer 1826 Anhalt-Bernburg dem preußischen Zollrecht unterworfen. Die beiden übrigen anhaltinischen Herzogtümer Dessau und Köthen, erlärten sich zwar bereit dem preußischen Zollsystem für den Fall, daß Preußen die Dresdener Elbschiffahrtsakte vom 21. Juni 1821 unterzeichne, beizutreten, konnten sich aber doch nicht entschließen, auf die lukrativen Schmuggeleinnahmen zu verzichten. Preußen erhob Zölle auf die nach Anhalt exportierten Waren und nicht auf Waren, die über anhaltinisches Gebiet wieder nach Preußen gelangten, was Preußen zu kontrollieren unmöglich sei, dachten die Köthener.
Motz dachte anders: Auf den gesammten Verkehr nach und durch Anhalt-Köthen wurde der Zoll erhoben, jedoch zurückerstattet, sobald die Waren wieder preußisches Gebiet erreichten. Es erhob sich in Deutschland Empörung über diese „Ungerechtigkeit“, die Preußen dem kleinen 30000 Seelen Staat angetan hatte, doch es fand sich – selbst in Österreich – kein Anwalt, der trotz besten Willens diese Meinung teilen konnte. So unterwarfen sich denn Köthen und Dessau am 17. Juli 1828 dem preußischen Zollsystem [13].
Hinsichtlich ihrer Zollpolitik bildeten sich unter den süddeutschen Staaten zwei Parteien: die Rheinanreiner und Bayern-Württemberg. Bayern und Württemberg hatten ähnliche Zollrichtlinien, die Bedenken des bayrischen Königs Maximilian I. Joseph gegen eine bayrisch-württembergische Zollunion wurden mit seinem dahinscheiden 1825 obsolet, so daß der neue König Ludwig I. am 18. Januar 1828 mit Württemberg den Süddeutschen Zollverein – der große Ähnlichkeit zu dem, einige Tage später inkraft getretenen, Vertrag zum Hessisch-Preußischen Zollverein aufwies – gründete.
Preußen und Bayern hatten etwas gemein, ihre Abneigung gegen die österreichische Oberhoheit. Das veranlaßte Österreich seine Vertreter Münch und Langenau (beide Österreich), Marschall (Nassau) und Rothschild (Frankfurt) ins Rennen zu schicken, um mithilfe eines „Mitteldeutschen Handelsvereins“ einen Riegel zwischen den Süddeutschen und den preußisch geführten Zollverein zu schieben. Mitglied wurden Sachsen, Thüringen, Kurhessen, das englische Hannover, man strebte sogar danach Holstein und die Niederlande in den Handelsverein aufzunehmen, dessen Zweck darin bestand, sich gegenseitig zu versichern keinerlei Zollverein beizutreten [14].
Metternichs Politik Bayern und Preußen voneinander abzuriegeln bewirkte das Gegenteil. Der durch Österreich initiierte und gegen Bayern wie Preußen gerichtete Handelsverein, führte zur Verständigung beider Königreiche. So konnte schon am 27. Mai 1829 ein Vertrag unterzeichnet werden, nachdem sich Preußen, Hessen, Bayern und Württemberg einander bis ins Jahr 1841 Zollfreiheit gewährten.
Beide Zollgebiete hatten jedoch keine gemeinsame Grenze. Motz nahm Geld in die Hand, das er Meiningen, Gotha und Koburg zum Bau einer Straße überließ, eine Verbindung zwischen den beiden Zollgebieten herzustellen. Damit war Österreichs Politik gescheitert und sein Ausscheiden aus dem Deutschen Bund vorprogrammiert [15] [16].
Im Juli 1830 wurden in Frankreich die Bourbonen gestürzt. Mit dem Bürgerkönig Louis Philippe übernahm das vermögende Bürgertum die Macht. In England ermöglichte die Reformbill eine ähnliche Machtverschiebung vom Landvermögen zum Kapitalvermögen. In Italien kam es zu Unruhen und auch in Deutschland gärte es [17].
Die pure Not machte aus den Kurhessen ein Volk von Schmugglern, das im Herbst 1830 den offenen Aufstand wagte und die Zollwächter aus den Mautstellen vertrieb. Nebenbei brachen sie die Herrschaft des Kurfürsten und sorgten für bürgerliche Verfassung und Volksvertretung [18] [19].
Im Februar 1831 kam der preußische Minister Graf Bernsdorf in einer Denkschrift an den König, zu dem Schluß, daß in ein ganz Deutschland umfassendes System von Handels- und Verkehrsfreiheiten die innere Lage stabilisiere und der Abschluß von Zollverträgen mit den einzelnen deutschen Staaten Preußen die Vormacht in Deutschland sichern könne [20].
Vor dem Hintergrund der Unruhen, Bayerns Umschwenken auf die preußische Linie und übereilt, um schnell der sich in Berlin ausbreitenden Cholera zu entfliehen, unterschrieben die Kurhessen am 29. August 1831 den Vertrag zur Bildung eines Zollvereins mit Preußen [21].
Sachsen und Weimar folgten im Rahmen der Verhandlungen, die Bayern-Württemberg und Preußen-Hessen führten, an dessen Ende die Gründung des Deutschen Zollvereins stehen sollte, dem der überwiegende Teil der deutschen Staaten angehörten.
Friedrich Christian von Motz starb bereits am 30. Juni 1830 und sollte die Verwirklichung seiner Lebensaufgabe nicht mehr erleben. Ihm folgte im Amt des Finanzminister sein Wegbegleiter vom ersten Tag im Ministerium, Karl Georg Maaßen, gestorben im Jahre 1834, dem Jahr der Gründung des Deutschen Zollvereins.
Quellen:
[ 1] Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Zweiter Theil, Leipzig 1882, S. 422
[ 2] Treitschke, Heinrich von, Die Gründung des Deutschen Zollvereins, Bremen 2009, S. 12
[ 3] ebd., S. 18
[ 4] Knoll, Stefan, Preußen – Ein Beispiel für Führung und Verantwortung, Berlin 2010, S. 440
[ 5] Treitschke, Die Gründung…, S. 79
[ 6] Zitat entnommen aus Treitschke, Die Gründung…, S. 78
[ 7] Friedrich Christian Adolph von Motz – Eine Biographie, Erfurt 1832, S. 218
[ 8] Treitschke, Die Gründung…, a.a.O., S. 87
[ 9] ebd., S. 98ff
[10] Clark, Christopher, Preußen, München 2008, S. 452f
[11] Friedrich Christian Adolph von Motz…, a.a.O., S. 256
[12] Treitschke, Die Gründung…, a.a.O., S. 110
[13] ebd., S. 89f
[14] ebd., S.117ff
[15] Friedrich Christian Adolph von Motz…, a.a.O., S. 262
[16] Treitschke, Die Gründung…, a.a.O., S. 155
[17] Obermann, Karl, Deutschland von 1813 bis 1849, Berlin 1976, S. 69
[18] Treitschke, Deutsche Geschichte… a.a.O., S. 173
[19] Treitschke, Die Gründung…, a.a.O., S. 197
[20] Obermann, Karl, a.a.O., S. 109
[21] Treitschke, Die Gründung…, a.a.O., S. 175