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Babel und Bibel.

Mit den im 19. Jhdt. gewonnenen technischen Möglichkeiten wandelte sich der althergebrachte Kolonialismus zum Imperialismus. Stahlen sich italienische und französische Herrscher noch die Zeugnisse früherer Hochkulturen des Nils und Euphrats, um mit der Dreistigkeit ihres Diebstahls die eigene Machtfülle gegenüber ihren Anhängern, d.h. Vasallen, zu demonstrieren, so wandte sich gegen Ende des 19. Jahrhundertss die Wissenschaft der Erforschung fremder Kulturen zu.

Am 24. Januar 1898 wurde in Berlin die Deutsche Orientgesellschaft gegründet. Kaiser Wilhelm II., selbst ein Hobby-Archäologe übernahm 1901 die Patronage und versorgte die Gesellschaft reichlich mit Mitteln aus seinem Privatvermögen.

Der Theologe und Assyriologe Friedrich Delitzsch, ein Mitbegründer der Deutschen Orientgesellschaft, hielt in den Jahren 1902 und den folgenden einen spektakulären Vortrag.
Sein Vortrag „Babel und Bibel“ handelte von historischen Zeugnissen babylonischen Ursprungs, die im Alten Testament eine Umwidmung erfuhren, um hinfort zur Legitimierung des jüdisch-christlichen Glaubens zu dienen [2].

Delitzsch erwähnte Moses [A], Gesetze [B], Sabbat [C], die 10 Gebote [D], Sündenfall [E], Sintflut [F] und schreibt sogar über die Herkunft des Namens Javeh (Gott) [G]. Seine Folgerungen stützen sich auf babylonische Fundstücke wie Schrifttafeln, Siegel und Stelen u.a.

Geladen zu einer Abendgesellschaft Kaisers Wilhelms II. nutzte Delitzsch die Gelegenheit, seine Ansichten in vielen Worten den Gästen zu Gehör zu bringen. Eine Debatte entstand die auf Bereiche ausuferte, die Kaiser Wilhelm II. zu einer schriftlichen Erklärung gegenüber seinem Freund, Admiral D. Hollmann (Vorstandsmitglied der Deutschen Orientgesellschaft), veranlaßte [1].

»Er [Delitzsch] erkennt die Gottheit Christi nicht an, und daher soll als Rückschluß auf das Alte Testament dieses keine Offenbarung auf denselben als Messias enthalten. Hier hört der Assyriologe und forschende Geschichtsschreiber auf und der Theologe mit allen seinen Licht- und Schattenseiten setzt ein. Auf diesem Gebiet kann ich nur dringend ihm raten, nur sehr vorsichtig Schritt vor Schritt zu gehen und jedenfalls seine Thesen nur in theologischen Schriften und im Kreise seiner Kollegen zu ventilieren, und Laien aber, und vor allem die Orientgesellschaft damit zu verschohnen; vor deren Forum gehört das alles nicht. Wir graben aus und lesen, was wir finden, und geben das heraus zum Wohle der Wissenschaft und Geschichte, aber nicht um Religions-Hypothesen eines unter vielen Gelehrten begründen oder verfechten zu helfen«

Kaiser Wilhelm II, der König Preußens von Gottes Gnaden, war von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Archäologen so sehr beeindruckt, daß er das Wort für die Freiheit der Wissenschaften führen mußte, ohne freilich den eigenen Glauben zu verleugnen.

Der Kaiser unterschied zwei Formen der Offenbarung:

»Es ist für mich keinem, auch nicht dem leisesten Zweifel unterworfen, daß Gott sich immerdar in Seinem von Ihm geschaffenen Menschengeschlecht andauernd offenbart.    …um es weiter zu führen und zu fördern, offenbart er sich bald in diesem oder jenem grossen Weisen oder Priester oder König, sei es bei den Heiden, Juden oder Christen.«
»Die zweite Art der Offenbarung, die mehr religiöse, ist die, welche zur Erscheinung des Herrn führt…   Der Stamm Abrahams und das sich daraus entwickelnde Volk betrachten als Heiligstes mit eiserner Konsequenz den Glauben an einen Gott.   …..   In der ägyptischen Gefangenschaft zersplittert werden die zerteilten Stücke von Moses zum zweitenmal zusammengeschweißt, immer noch bestrebt, ihren Monotheismus festzuhalten.
Es ist das direkte Eingreifen Gottes, das dieses Volk wiedererstehen läßt. Und so geht es weiter durch die Jahrhunderte, bis der Messias, der durch die Propheten und Psalmisten verkündet und angezeigt wird, endlich erscheint. Die größte Offenbarung Gottes in der Welt!
Denn Er erschien im Sohne selbst; Christus ist Gott; Gott in menschlicher Gestalt.«

Am Ende seines Briefes an Hollmann schrieb Wilhelm II.:

»Wir Menschen brauchen, um ihn [den einen Gott] zu lehren, eine Form, zumal für unsere Kinder. Diese Form ist bisher das Alte Testament in seiner jetzigen Überlieferung gewesen. Diese Form wird unter der Forschung und den Inschriften und Grabungen sich entschieden wesentlich ändern«.

Er schloß mit der Überzeugung:

»Nie war Religion ein Ergebnis der Wissenschaft, sondern ein Ausfluß des Herzens und Seins des Menschen aus seinem Verkehr mit Gott.«

Die jüngsten Kriege um das Zweistromland begruben und zerstörten auch die, einst mühevoll ausgegrabenen, historischen Funde, die Zeugnis über die historischen Wechselwirkungen zwischen den Kulturen hätten abgeben können und brachten uns nicht der von Kaiser Wilhelm II. erwarteten aufgeklärten Zeit sondern dem Mittelalter näher.

Anhang:

[A] Delitzsch [2] auf S.11f zu Moses:

»… und hier das Staatssiegel 5 eines der ältesten bislang bekannten babylonischen Herrscher, Sargani-sar-alfs oder Sargans I, aus dem 3. vielleicht gar 4. Jahrtausend v. Chr. (Abb. 9)*), jenes Königs, welchen eine Legende von sich erzählen lässt, dass er seinen Vater nicht gekannt habe, dieser also vor seiner Geburt gestorben sei, und da sich seines Vaters Bruder nicht um die verwitwete Mutter gekümmert, so habe ihn diese in grosser Bedrängnis zur Welt gebracht: in Azupiran am Euphrat gebar sie mich heimlich, legte mich in ein Kästchen von Schilfrohr, verschloss mit Erdpech meine Tür, legte mich in den Fluss, der mich auf seinen Wellen hinabtrug zu Akki, dem Wasserträger.
Der nahm mich auf in der Freundlichkeit seines Herzens, zog mich auf als sein Kind, machte mich zu seinem Gärtner – da gewann Istar, die Tochter des Himmelskönigs, mich lieb und erhob mich zum König über die Menschen.«.

[B] Delitzsch [2] auf S. 28f zur Gesetzgebung:

»Nachdem es Hammurabi gelungen war, den Erbfeind Babyloniens, die Elamiten, aus dem Lande zu vertreiben und Nord und Süd des Landes zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen mit Babylon als politischem und religiösem Zentrum, war er vor allem darauf bedacht, einheitliches Recht durch das ganze Land hin zu schaffen und veranstaltete eine grosse Gesetzessammlung, welche das bürgerliche Recht in allen seinen Zweigen fixierte“. Da ist die Stellung des Herrn zum Sklaven und Lohnarbeiter, des Kaufmanns zum Kommis, des Feldeigentümers zum Pächter fest geregelt: der Kommis, der das Geld für verkaufte Waren an seinen Prinzipal abliefert, hat von diesem eine Quittung zu erhalten; bei Wetter- und Überschwemmungsschäden sind Ermässigungen des Pachtzinses vorgesehen, u.s.w.
Gemäss den Schreiben Hammurabi’s an Sin-idinnam“ nimmt der König selbst von allen wichtigeren Rechtsfällen Kenntnis und sorgt für peinlichste Handhabung von Recht und Gerechtigkeit ebenso wie für Ordnung und rastlose Tätigkeit in allen übrigen Zweigen der Verwaltung.
Jeder taugliche Mann ist zum Militärdienst verpflichtet, obschon Hammurabi allzu streng gehandhabter Aushebung durch zahlreiche Rechtsentscheidungen vorbeugt, indem er die Privilegien altpriesterlicher Geschlechter achtet oder im Interesse der Viehzucht die Hirten vom Kriegsdienst befreit.
Das Fischereirecht für die einzelnen an einem Kanal gelegenen Ortschaften ist genau abgegrenzt.«

[C] Delitzsch [2] auf S. 31f zum Sabbat:

»Und wie der alttestamentliche Tempelkultus, das Opferwesen, das Priestertum von babylonischem Einfluss nicht unberührt ist, so ist es denkwürdig, dass die israelitische Tradition selbst über den Ursprung des Sabbattages nicht mehr sicheren Bescheid weiss (vergleiche 2 Mo.20,11 mit 5 Mo. 5, 15). Da aber auch die Babylonier-Assyrer einen von ihnen als „der Tag“  ϰατʹ έξοχην bezeichneten Sabbattag (šabattu) hatten, welcher der „Versöhnung“ der Götter diente und diesen Zweck, wie der Name Jabaliu wahrscheinlich macht, durch Ruhenlassen gewisser Berufstätigkeiten zu erreichen suchte, in jenen Kalendern aber, die speziell für den König bestimmt waren, beim 7., 14., (19.), 21., 28. Monatstag in immer gleicher Ausführlichkeit die Gebote eingeschärft werden, dass an ihnen „der Hirt der grossen Völker“ kein gebratenes Fleisch essen, seinen Leibrock nicht wechseln, nicht opfern, der König den Wagen nicht besteigen, keine Entscheidung fallen, der Magier nicht prophezeien, ja selbst der Arzt seine Hand an den Kranken nicht bringen solle, so dürfte ein Zweifel kaum möglich sein, dass wir die in der Sabbat bezw, Sonntagsruhe beschlossene Segensfülle im letzten Grunde jenem alten Kulturvolk am Euphrat und Tigris verdanken.«

[D] Delitzsch [2] auf S. 38f zu den 10 Geboten:

»Unauslöschlich ist jedem menschlichen Herzen das Verbot eingeprägt, dem Nächsten dasjenige zu tun. das man sich selbst nicht angetan zu sehen wünscht. „Du sollst das Blut deines Nächsten nicht vergiessen, du sollst dem Weib deines Nächsten dich nicht nahen, du sollst das Kleid deines Nächsten nicht an dich reissen“ – diese Grundforderungen des menschlichen Selbsterhaltungstriebes lesen wir bei den Babyloniern in genau der nämlichen Zusammenstellung, wie das 5., 6. und 7, Gebot des Alten Testaments. Aber der Mensch ist auch ein auf Gemeinschaftsleben angewiesenes Wesen, weshalb die Gebote der Menschlichkeit: der Hilfsbereitschaft, des Erbarmens, der Liebe ein ebenso unveräusserlicbes Erbe der menschlichen Natur bilden. Wenn darum der babylonische Magier zu einem Kranken gerufen wird und forscht, welche Sünde ihn auf solches Krankenlager geworfen, so bleibt er nicht stehen bei den groben Tatsünden, wie Totschlag oder Diebstahl, sondem er fragt: Hat er einen Festgenommenen nicht freigelassen? einen Gebundenen nicht gelöst? einen Gefangenen nicht sehen lassen das Licht? Selbst auf die höheren Stufen der menschlichen Sittlichkeit legt der Babylonier Wert: die Wahrheit zu sprechen, das Versprechen zu halten ist ihm ebenso heilige Pflicht, wie ihm das mit dem Mund ja sagen und mit dem Herzen Verneinen als ein strafwürdiges Vergehen erscheint“. Es ist nicht befremdend, dass den Babyloniern genau wie den Hebräern die Vergehungen gegen jene Verbote und Gebote als Sünde erschienen.

[E] Delitzsch [2] auf S. 41 zum Sündenfall:

»Die Frage nach dem Ursprung der biblischen Sündenfallerzählung ist wie keine zweite von eminenter
religionsgeschichtlicher Wichtigkeit, vor allem für die neutestamentliche Theologie, welche bekanntlich dem ersten Adam, durch welchen die Sünde und der Tod in die Welt gekommen, den zweiten Adam entgegensetzt. Darf ich den Schleier vielleicht etwas lüften?
hinweisen auf einen alten babylonischen Siegelcylinder (Abb. 42)*): in der Mitte der Baum mit herabhängenden Früchten, rechts der Mann, kenntlich durch die Hörner, das Symbol der Kraft oder vielleicht besser des göttlichen Geblüts, links das Weib,
beide ausstreckend ihre Hände nach der Frucht, und hinter dem Weibe die Schlange – sollte nicht ein Zusammenhang stattfinden zwischen diesem altbabylonischen Bilde und der biblischen Sündenfallerzählung?«

[F] Delitzsch [2] auf S. 33 zur Sintflut:

»Es ist das Verdienst des berühmten Wiener Geologen Eduard Suess, dass er in der babylonischen Sintfluterzählung, welche auf dieser Tafel (Abb. 38)*) aus der Bibliothek Sardanapals zu Nineve geschrieben steht, die aber bereits vor 2000 v. Chr. schriftlich fixiert war, Zug um Zug die genaue Schilderung eines solchen Cyklons nachwies: das Meer spielt die Hauptrolle, und deshalb wird das Schiff des babylonischen Noah, Xisuthros, an die Ausläufer des armenisch-medischen Gebirges zurückgeworfen – aber im übrigen ist es die uns allen bekannte Sintfluterzählung. Xisuthros erhält vom Gott der Wassertiefe den Befehl, ein Schiff von der und der Grösse zu bauen, es gut zu verpichen, seine Familie und allen lebendigen Samen hinaufzubringen; das Schiff wird bestiegen, seine Tür verschlossen, es stösst hinaus in die alles verheerenden Wogen, bis es schliesslich auf einem Berg namens Nizir strandet. Es folgt die berühmte Stelle:
„am 7. Tag nahm ich heraus eine Taube und entliess sie; die Taube flog hin und her, aber da ein Ruheort nicht vorhanden war, kehrte sie wieder zurück“, Wir lesen dann weiter, wie die Schwalbe entlassen wurde und wieder zurückkehne, bis endlich der Rabe die Abnahme der Wasser gewährte und nicht wieder zum Schiff zurückkehrte; wie Xisuthros dann das Fahrzeug verlässt und auf der Spitze des Berges ein Opfer darbringt, dessen süssen Geruch die Götter rechen u. s. w. «.

[G] Delitzsch [2] S. 50 zu Javeh:

»Durch die Güte des Direktors der ägyptisch-assyrischen Abteilung des Britischen Museums bin ich in den Stand gesetzt, drei kleine Tontäfelchen im Bilde zu zeigen (Abb. 48-50)*). … sie sind wertvoll dadurch, dass sie sicher datierbar sind, nämlich aus der Zeit Hammurabis, die eine speziell aus der Regierung seines Vaters Sin-mubaliț, in noch ungleich höherem Grade aber deshalb, weil sie drei Namen enthalten, welche religionsgeschichtlich von weittragendstem Interesse sind – die Namen: Jahve ist Gott. Also Jahve, der Seiende, der Beständige (denn das durfte, wie wir Grund haben zu sagen, der Name bedeuten), der allem Wechsel entnommen, der nicht, wie wir Menschen, schon morgen ein Gestern ist, sondern über dem in ewiger Gesetzmässigkeit prangenden Sternenzelt lebt und wirkt von Geschlecht zu Geschlecht, dieser Jahve-Name bereits Eigentum ebenjener Nomadenstamme, aus welchen nach einem Jahrtausend die Kinder Israel hervorgehen sollten.«

*) Die Angaben zu den Abbildungen beziehen sich auf das Originaldokument

Quellen:

[1] Hg.: Penzler, Johannes, Die Reden Kaiser Wilhelms II. Band 3, Leipzig, S. 143ff
[2] Delitzsch, Friedrich, Babel und Bibel, Leipzig, 1905

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